„Dunkle Tiefen“ ist ein weiterer DSA-Roman von Daniela Knor, die mich bereits mit „Roter Fluss“ sehr überzeugt hatte. Obwohl die Romane in ihrer Breite unterschiedlicher nicht sein könnten – „Roter Fluss“ ist ein Gesellschaftsroman, der eine Großstadt und ihr Umfeld behandelt, „Dunkle Tiefen“ spielt in der geschlossenen Gemeinschaft einer kleinen Zwergenbinge – haben beide Texte vieles gemeinsam. Denn auch in „Dunkle Tiefen“ stehen wieder die Figuren und ihre Verhältnisse zueinander lange im Mittelpunkt. Auch hier könnte man von einem Gesellschaftsroman sprechen. Ganz langsam schwillt im Hintergrund die Bedrohung an, etwa so, wie man es von einem slow burner Horror erwarten würde.
Eine kleine Zwergengemeinschaft im Eisenwald hat einen Gang tief in den Berg getrieben und entdeckt etwas, das zuerst für eine offene Höhle gehalten wird. Bald aber stellt sich heraus, dass es in Wahrheit ein uralter Zwergenschacht ist. Darin drei mumifizierte Zwerge, was den „Neuen“ im Berg große Sorgen bereitet. Denn von Mumien hat man zuvor wenig gehört und niemals von Zwergenmumien. Man erzählt sich alte Legenden, von Zwergen, denen der Gott Angrosch (Ingerim) nicht zu sterben erlaubt. Die Gemeinde zerstreitet sich darüber, ob man den Mumien die traditionelle Feuerbestattung gewähren sollte oder den Gang lieber einfach wieder zuschütten. Und dann geschehen wirklich schreckliche Dinge und immer mehr Mitglieder der Gemeinde finden den Tod.
Die Hauptfigur ist Ortosch, ein junger Zwerg, der nicht so richtig in die Gemeinschaft passt. Einige sagen, er hätte keinen Mut, andere halten ihn für insgesamt komisch. Doch auch zahlreiche weitere Figuren tragen wichtige Rollen. Der noch relativ frisch geweihte Angroschpriester etwa, jüngere und ältere Bergleute und KriegerInnen. Vor allem das schwierige Verhältnis zwischen Jugend und Alter unter Lebewesen, die leicht mehrere hundert Jahre alt werden, wird ausgeleuchtet. Ebenso die enge Bindung, die Zwerge zu ihren wohl recht häufigen Zwillingen haben und was es heißt, einen Zwilling zu verlieren. Und nicht zuletzt die Skepsis gegenüber aller Magie, was noch eine wichtige Rolle spielen wird
Ja, von der grundlegenden Idee ist „Dunkle Tiefen“ nichts weiter als eine Abwandlung einer „wie der Balrog in Moria befreit wurde“-Geschichte. Allerdings geht es letztendlich nicht um ein balrogähnliches Wesen und zum Glück auch ganz allgemein nicht um Dämonen. Allerdings ist „Dunkle Tiefen“ ein gutes Beispiel dafür, wie ein DSA-Roman Dämonen verwenden könnte, ohne uninteressant zu werden. Denn natürlich wird der Verdacht auf dämonisches Wirken häufiger gehegt. Und eine der Hauptfiguren erinnert sich daran, wie sie noch selbst in der Dämonenschlacht gekämpft hat:
“Seite an Seite hatten sie auf dem Schlachtfeld gestanden, als das Unvorstellbare geschehen war. Als die Schergen des zurückgekehrten Dämonenmeisters ihre abscheulichen Zauber gewirkt und die gefallenen Kameraden der Zwillinge zu unheiligem Leben erweckt hatten. Niemals würden sie die grausigen Bilder aus ihren Köpfen verbannen können, wie die zerschmetterten, blutbesudelten Körper plötzlich zuckten, um sich wie die Leiber plumper Stoffpuppen vom Boden zu erheben. Die Blicke aus den toten Augen, die keine Blicke waren. Das dumpfe Murmeln sinnloser Laute, wie eine groteske Parodie ihrer eigenen bru-melnden Sprache. Welche Qual, auf das vertraute Antlitz des Großvaters einschlagen zu müssen, dessen versklavter Arm die Axt wider den eigenen Enkel hebt.”
Und siehe da: Diese Erinnerungen sollen Erinnerungen an etwas sein, das so grausam und so selten ist, dass man eben sein ganzes Leben davon erzählt. Wie viel glaubhafter wäre das, hätte DSA nicht das von mir vielkritisierte Dämonenproblem, mit deren regelmäßigen Auftauchen an allen Ecken und Enden der Welt, im Wald, in Städten, In Kneipen, am Spieltisch, beim Gemischtwarenhändler, im Bett zwischen Geliebten (kein Scherz, vgl.: „Das letzte Lied“). Sprich: Im Roman funktioniert die Passage. Auf der Reihe hin gelesen nicht.
„Dunkle Tiefen“ selbst aber ist ähnlich lesenswert wie „Roter Fluss“ und gehört auf jeden Fall in die kleine Selektion von DSA-Romanen, aus denen man sich seine eigene hochwertige DSA-Reihe basteln sollte.