Dostojewski, unzureichend gefiltert? Die „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“.

Die „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ bzw. je nach Übersetzung „…aus einem Kellerloch“ (die Unschärfe zwischen den Begriffen ist beabsichtigt) gehören zu denen bekannteren kürzeren Texten Dostojewskis. Sie gehören definitiv nicht zu den besseren.

Die Bekanntheit und zeitweilig Beliebtheit dürfte mehrere Gründe haben. Einerseits ist der namenlose Protagonist und Erzähler eines der ungefiltertsten Sprachrohre des Autors, und das Interesse an „Authentizität“ in der Literatur war schon immer groß, auch wenn es heute unerträgliche Höhen erreicht. Andererseits trafen diese ungefilterten Ideen Dostojewskis sicherlich einen Zeitgeist. Ein Pessimismus, der sich dem linken Fortschrittsoptimismus, den dieset wiederum mit dem bürgerlichen Liberalismus teilte, entgegenstellte, eine bissige Menschenfeindlichkeit, die eine manchmal lächerlich wirkende Menschenfreundlichkeit kontert. Denn erlebt man die Menschen und die Menschheit nicht tatsächlich regelmäßig eher so wie von Dostojewskis Protagonist geschildert, als intrigant, die Ellenbogen ausfahrend, sich hintergehend und doch auch mit Erfolgen nie zufrieden seiend. Als schließlich sich auch noch im Leid gewinnheischend suhlend und aus dem Leid nach Bestätigung strebend? Und viel seltener so, wie historisch die Linke sie zeichnete, mit unendlichem Potenzial (die Linke ist davon weitgehend abgekommen), und ebenso der Liberalismus, der nach zahlreichen Völkermorden und unzähligen Beweisen, dass Menschen, wenn man sie lässt, im Verfolgen der Eigeninteressen über fast jede Leiche zu gehen bereit sind, immer noch darauf behaart, dass man lieber keine Gesetze erlässt, sondern den Menschen in ihrer „Eigenverantwortung“ vertrauen soll?

(Nicht dass ein düsteres Jetzt und eine lichte Zukunft sich prinzipiell ausschlössen. Aber frühere progressive Bewegungen neigten dazu, eine „menschliche Natur“ im Jetzt zu idealisieren, um das Heraustreten aus den finsteren Verhältnissen wahrscheinlicher zu machen).

Also: Es wundert nicht, dass dieser Text Freunde fand und findet bei allen, die von der Mitmenscheid und allzu optimistischen Visionen über das Potenzial der Menschheit angenervt waren und sind.

Aber der Text bietet eben wirklich vor allem das: Gejammer. Der erste Teil, der etwa ein Drittel des Umfangs umfasst, ist tatsächlich vor allem eine Polemik ohne weitere Handlung. Die klassischen Punkte Dostojewskis. Austeilen gegen utopische Versuche der Weltverbesserung, gegen den Kapitalismus und so weiter und so fort. Der zweite Teil ist dann eine Erzählung des Protagonisten, der mit etwa 40 auf seine 20er zurückblickt. Es geht um sein Ringen mit Standesproblemen. Darum, dass er sich niedriger fühlt als seine Freunde, die gesellschaftlich aufgestiegen sind. Und dass er das Gefühl hat, dass die ganze Welt auf ihn herabsieht. Aus dieser Ablehnung durch die Welt zimmert hat er sich seine Identität der Ablehnung der Welt. Zugleich aber scheint es ihm wichtig, Anerkennung zu finden. Aufgrund einer Nichtigkeit, wenn überhaupt, möchte er ein Gegenüber fordern, das an einem Duell aber wenig Interesse zeigt. Und als er spät nachts in einem Bordell strandet, macht er der Prostituierten Lisa Hoffnungen, er könne sie aus dem Elend herausholen, nur um dann die Chance zu nutzen, sich über sie zu erheben und sie weiter zu erniedrigen. Dieser Teil der Erzählung ist sicherlich ähnlich ordentlich ausgeführt wie andere kürzere Erzählungen Dostojewskis, aber auch kein Höhepunkt im Werk.

Manch einer mag nun noch auf das „Spiel mit dem Erzählen“ abstellen, das moderne Menschen, die mit Literatur beschäftigt sind, besonders solche, deren Beruf das ist, so gern in allen möglichen Texten finden. Sobald über das Erzählen erzählt wird oder Bücher über Bücher geschrieben, merkt man auf: aha, das ist tiefgründig! In 90 Prozent der Fälle meines Erachtens, weil Literaturmenschen den Impuls verspüren, die Bedeutung von Texten zu überhöhen. Denn wenn deren Bedeutung vielleicht gar nicht so gigantisch wäre, womit hat man sein Leben verbracht? Natürlich wertet genau dieser Impuls, der vor allem an Texten über Texte ausagiert wird, den Text ab. Denn die gute Geschichte selbst wird dadurch tendenziell an den Rand gedrängt. Erst wenn das Texten über Text im Mittelpunkt steht, wird es interessant.

Der Sachverhalt hier: Der Protagonist sagt mehrfach, dass er seine Aufzeichnungen nur für sich macht und sie keinen Publikum zu präsentieren gedenkt. Aber wem sagt er das, wenn es doch kein Publikum gibt? Wer ist das Publikum das er an anderen Stellen anspricht? Wnd was ist das für ein Text, den wir lesen, wenn der Protagonist ihn doch nur für sich aufzeichnet? Macht das den Text nicht unglaublich brüchig und widersprüchlich und so weiter und so fort?

Ich denke nicht.

Es sind einfach naheliegende Einschübe, die man macht, wenn man eine Geschichte von einem schreibenden Menschen erzählt. Auch wenn der Protagonist sich manchmal widerspricht und sehr unsympathischer rüberkommt: Seine Gesellschaftsanalyse ist doch im Großen und Ganzen geradeheraus und soll durch den Text nicht etwa unterminiert werden. Im besten Fall könnte man sagen dieser Mensch ist so ein A********, weil die Welt so ist, dass ein denkender Mensch nur ein A******** sein kann. Aber das ist kein Aufruf zur Verbesserung der Welt, sondern eine Bestätigung der Thesen des Protagonisten. Und selbst dieser Schluss geht schon weit über den Text hinaus. Der ist viel mehr meines Erachtens einfach keine konsistente Arbeit, sondern ein Theorieteil, der notdürftig mit Literatur verklebt wurde. Im zweiten Teil halbwegs lesbar, im ersten vor allem interessant um Dostojewskis Gedankenwelt aus der Zeit zu erfahren, bevor das offen reaktionäre Tagebuch eines Schriftstellers begonnen wurde.

Bild: wikiart, gemeinfrei.

2 Kommentare zu „Dostojewski, unzureichend gefiltert? Die „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“.

  1. Ich habe schon lange nichts mehr von Dostojewski gelesen. Bei mir steht „Die Dämonen“ von seinen Hauptwerken aus. Diesen Text „Aufzeichnungen aus dem Untergrund“ habe ich mehrmals angefangen, aber bin nie über die ersten Seiten hinaus gekommen. Ich erkenne aus deiner Besprechung weshalb. Eine seltsame Gemischlage zwischen Literatur und Theorie – gibt es andere Texte dieser Machart, die du empfiehlst – muss nicht unbedingt Dostojewski sein, die eben eine „konsistente Arbeit“ darstellen, Theorie mit Literatur verbinden, statt sie zu verkleben? Viele Grüße!

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    1. Gibt ja eigtl keinen „theorielosen“ Dostojewski, nur dass Ideen für gewöhnlich auf Figuren verteilt werden.
      mE wirkt, sobald das Theoretische heraussticht, ein literarischer Text stets wie die Produktion eines Autors, der eine philosophische Monografie nicht in sich hatte.
      Wenn das Werk gelingt, kann viel „Theorie“ drin sein, aber man speichert das nicht als „so ein Werk“ ab.
      Manns Faustus, Dostojewskis große Romane, usw.

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