George Sands Hauptwerk: „Consuelo“ ist ein wilder Mix aus Bildungsroman und Schauerromantik.

„Consuelo“ könnte man, soweit ich das recherchieren konnte, als eines der Hauptwerke oder das Hauptwerk von George Sand bezeichnen. Es ist auf jeden Fall der umfangreichste auf deutsch erhältliche Roman der Autorin. Die drei Teile, „Consuelo“ 1 und 2 sowie „Die Gräfin von Rudolstadt“ umfassen insgesamt gut 1500 bis 2000 Seiten. Und dabei bin ich mir immer noch nicht sicher, ob es nicht noch einen dritten Teil von „Consuelo“ gibt oder der Dreiteiler auf Deutsch und zwei Bände gepackt wurde (mittlerweile habe ich die frz. Ausgabe gecheckt und bin recht optimistisch, dass mir das gesamte Werk auf deutsch vorliegt).

Eigentlich zerfällt „Consuelo“ (1) schon in zwei sehr distinkte Romane. Diese sind so unterschiedlich, dass es meines Erachtens dem Text sogar schadet, dass er als ein einziges verkauft und vermarktet wurde.

Die ersten etwa 200 Seiten von „Consuelo“ spielen in Venedig. Consuelo ist eine junge Spanierin, Tochter einer fahrenden Musikerin und mittlerweile Waise. Sie hat eine eigene Wohnung in einem Hof, dessen Beschreibung stellvertretend für die atmosphärische Gestaltung des Romans stehen darf:

“Nachts aber, wann alles in Schweigen gesunken ist, und wann die Steine hell im Lichte des stillen Mondes schimmern, dann giebt diese gedrängte Masse unregelmäßig und absichtslos in den verschiedensten Epochen an einander gebauter Häuser, durch starke Schatten abgesetzt, mit mannigfaltigen geheimnißvollen Tiefen, und mit dem grillenhaften Formenspiele, das der Zufall schuf, ein Bild unendlich malerischer Unordnung. Alles verschönt sich im Mondesblicke; jede kleine architectonische Wirkung tritt hervor und wird bedeutend, der unscheinbarste weinbelaubte Balcon nimmt eine spanisch romanzenhafte Miene an, und erfüllt die Seele mit den Bildern jener schönen ritterlichen Abentheuer. Der leuchtende Himmel, in welchen sich jenseits dieser finsteren und winkeligen Masse, die blassen Kuppeln ferner Gebäude tauchen, gießt über die geringsten Einzelheiten des Gemäldes einen ungewissen und harmonischen Farbenton, der zu endlosen Träumen verlockt.”

Mit solchen bildlichen Szenen bringt uns Sand ihr Venedig immer wieder nahe. Consuelo wird auf einer christlichen Musikschule unterrichtet, und bereits früh machen wir die Bekanntschaft mit einem Impresario, der dieser Musikschule immer wieder Musikerinnen abwirbt um sie in der Popmusik seiner Zeit zu verderben, so zumindest sieht es der Musikschulleiter. Gemeint sind natürlich die Oper und das Musiktheater. Anfangs ist Consuelo sicher, denn sie gilt als „hässlich“. Für eine populäre Musikerin geht das natürlich gar nicht. Consuelo ist befreundet/verbandelt mit Anzoletto, auch Musiker und Autodidakt, der es aufgrund seiner Schönheit bald auf die Bühne schafft, aber nicht die beste Arbeitsmoral zeigt. Die Liebe der beiden ist zu Beginn so absolut naiv, dass sich Anzoletto noch nicht einmal Gedanken über die Frage gemacht hat, ob Consuelo tatsächlich „hässlich“ ist, doch die kommt wieder auf, als eine Primadonna ausscheidet und er gerne seine Freundin an der Oper platzieren würde. Doch man sagt ihm, die Freundin sei „hässlich“, und das schockiert ihn sehr. Die ist allerdings mittlerweile vier Jahre älter geworden, und sich gar nicht mehr so sicher, ob dieses alte Urteil über sie noch zutrifft. Die Überlegungen, die die beiden dazu anstellen, sind wirklich herzallerliebst:

“– Nein, liebes Mädchen, beruhige dich, und ich will es versuchen, deutlich zu sehen. Sage, Consuelina, findest du mich schön? – Ei freilich, ich habe dich ja lieb. – Und wenn du mich nicht lieb hättest, wie würdest du mich dann finden? – Was weiß ich? – Wenn du andere Männer siehst, weißt du dann, ob sie schön oder häßlich sind? – Ja wohl, aber ich finde dich schöner als die Schönsten. – Blos weil du mich lieb hast? – Ich glaube, ja und nein. Und zudem sagen alle Leute daß du schön bist, und das weißt du recht gut. Aber was kümmert dich das? – Ich möchte wissen ob du mich lieb hättest, wenn ich auch abscheulich wäre. – Ich würde es vielleicht gar nicht merken. – Du glaubst also, daß man eine häßliche Person lieben kann? – Warum nicht? Liebst du mich doch. – Du bist also häßlich, Consuelo? Im Ernste, sage, gieb Antwort, du bist also häßlich? – Man hat es mir immer gesagt, siehst du denn das nicht selbst? – Nein, nein, wahrhaftig nicht, ich sehe es nicht! – Nun sieh, dann finde ich mich schön genug, und ich bin sehr zufrieden. – Jetzt, jetzt eben, Consuelo, wie du mich ansiehst, mit einer so natürlichen, so liebenswürdigen Miene, da scheinst du mir schöner als die Corilla. Aber ich möchte nur wissen, ob das eine Einbildung von mir oder ob es wirklich so ist. Ich kenne dein Gesicht, es ist so ehrlich und gefällt mir so, und wenn ich zornig bin, so macht es mich still; und wenn sich traurig bin, so macht es mich froh; und wenn ich niedergeschlagen bin, so macht es mich munter. Aber deine Gestalt kenne ich nicht. Deine Gestalt, Consuelo, ob die häßlich ist, das kann ich nicht wissen.”

Ich will nun nicht mehr zu viel ins Detail gehen. Es entspannt sich eine Liebes- und Eifersuchtsgeschichte, da die degradierte ältere Primadonna beginnt, um Anzoletto zu werben, während der Impresario versucht, Consuelo zu erobern. Durchwachte Nächte auf Venetischen Kanälen, Gesang im Gondeln, Mondschein, Eifersuchtsszenen und letztendlich der Bruch einer unschuldigen Jugendliebe, die eigentlich zuvor schon bei einer Einsicht über den jeweiligen Partner angelangt war, auf der man hätte ein Leben aufbauen können. Allerdings so vor aller Erfahrung, dass ausgerechnet der Überschwang der Jugend das zerstören musste. Dieser Teil ist eine herrliche kleine Novelle in sich selbst, atmosphärisch, verworren aber nicht verwirrend, und getragen von dem typischen Zwiespalt von Georges Sand, nachdem sie zugleich die Vorurteile ihrer Zeit angreift und wieder aufrichtet und man nie sicher sein kann, in welche Richtung das Ganze kippt.

Und dann bricht der Text völlig. Consuelo geht zuerst mit ihrem alten Lehrer nach Wien, wobei wir von dem Aufenthalt nichts erfahren. Wir werden dann eingeführt in die altehrwürdige böhmische Familie von Rudolstadt, und bald schlägt dort auch Consuelo als eine Art Gesangslehrerin auf, vor allem aber als bezahlte Hausfreundin der Tochter eines Bruders des Grafen, Amalia. Jene soll mit dem Sohn der Familie verheiratet werden, doch den plagt ein geheimnisvoller Wahn. Nicht nur identifiziert er sich mit einem alten hussitischen Revolutionsführer, und damit mit der verfolgten und unterdrückten Minderheit des katholischen Landes. Er verschwindet auch sporadisch für Tage oder Wochen und macht der Familie damit viele Sorgen. Wir dringen jetzt tief in deutsch-romantische Gefilde ein. Finstere Wälder, verwinkelte Schlösser, Geheimgänge und die düsteren Geister eines Religionskriegs, die die Familie immer wieder heimsuchen. Auch der Ton wandelt sich entsprechend:

“Nach vielen Kreuz- und Quergängen auf den verworrenen Pfaden dieses Waldes, gerieth Consuelo in einer bergigen und zerrissenen Landschaft auf eine Anhöhe voll von Felsblöcken und Mauertrümmern, die kaum von einander zu unterscheiden waren, so hatte die Menschenhand mit dem Zahne der Zeit wetteifernd, dort gewüthet. Es war nichts als ein Haufen von Steinen und Bruchstücken übrig, wo vor Zeiten ein Dorf gestanden, das der furchtbare Blinde, das berühmte Taboritenhaupt, Johann Ziska, niedergebrannt hatte, er, von dem Albert abzustammen glaubte, vielleicht auch wirklich abstammte.”

Die Erzählung bleibt durchaus unterhaltsam, aber der Bruch zum Vorherigen und ja recht eigentlich Abgeschlossenen ist doch sehr radikal. Gewiss, irgendwann taucht Anzoletto wieder auf. Aber für den Großteil der Handlung des böhmischen Romans müsste Consuelo keine erfolgreiche venezianische Sängerin sein, irgendeine Art von Musiklehrerin würde reichen. Dieser zweite Teil von Teil 1 ist eigentlich ein neuer Roman.

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