Von der Nacht keine Bilder. Dostojewskis „Weiße Nächte“.

Wahrscheinlich ist „Weiße Nächte“ zumindest vom Titel her die bekannteste der früheren Erzählungen Dostojewskis. Hier kommt auch zum ersten Mal das von mir bereits herausgearbeitete nicht Beschreiben zu voller Entfaltung. Selbst in der Eröffnung wird von der Nacht nicht viel mehr gesagt, als dass sie wundervoll sei, und dann beginnt der Protagonist sogleich, nach innen zu schauen:

“Es war eine wunderbare Nacht, eine von den Nächten, die wir nur erleben, solange wir jung sind, freundlicher Leser. Der Himmel war so sternenreich, so heiter, daß man sich bei seinem Anblick unwillkürlich fragen mußte: können denn unter einem solchen Himmel überhaupt irgendwelche böse oder mürrische Menschen leben? So fragt man nur, wenn man jung ist, freundlicher Leser, wenn man sehr jung ist; doch möge der Herr Ihnen solche Fragen öfter eingeben … Da ich gerade von allerlei mürrischen und bösen Herrschaften spreche, muß ich an mein musterhaftes Betragen während des ganzen heutigen Tages denken. Schon vom frühen Morgen an quälte mich ein seltsames Unlustgefühl. Es war mir plötzlich, als ob ich, Einsamer, von allen verlassen sei und als ob sich alle von mir lossagten. Nun kann man mich allerdings fragen: wer sind diese »Alle«? Denn ich lebe schon seit acht Jahren in Petersburg und habe es bis heute nicht verstanden, Bekanntschaften zu machen. Wozu brauche ich auch Bekanntschaften? Ich kenne auch so ganz Petersburg; darum hatte ich auch das Gefühl, von allen verlassen zu sein, als ganz Petersburg aufbrach und in die Sommerfrischen zog. Es war mir so schrecklich, allein zu bleiben, und darum irrte ich ganze drei Tage in der Stadt umher, von einem starken Unlustgefühl bedrückt und ohne zu begreifen, was mit mir vorging.”

Davon, was eine Petersburger weiße Nacht ausmacht: Im ganzen Text kein Wort. Allein der Titel gibt uns das Setting vor, und dann sind es Erlebnisse und Dialoge, die uns ein Gefühl dafür geben.

Die Geschichte ist einfach und relativ typisch. Ein junger Mann streift durch die Nacht und begegnet im Hafen einer jungen Frau. Erst wagt er nicht, sie anzusprechen, dann bedrängt ein anderer Mann sie und er geht dazwischen. So entspannt sich ein Gespräch und natürlich ist der junge Mann gleich total verliebt und beginnt ihr in tollpatschiger Weise das ein oder andere vorzuschwärmen. Schließlich verabreden sie sich für den nächsten Tag bzw. sie verspricht ihm, wieder da zu sein, da sie aus anderen Gründen sowieso im Hafen sein muss.

Endlich erzählen die beiden sich mehr von ihren Geschichten. Dabei inszeniert sich besonders der junge Mann geradezu wie die Figur eines literarischen Textes. Er stellt sich gewissermaßen als Typ vor: Ein Träumer. Dann erklärt er, was ein Träumer ist, wie er lebt. Dazu wechselt er bald in die dritte Person, denn solche Dinge könne man eigentlich nur im Modus des Erzählens erzählen. Doch auch das Leben der jungen Frau ist relativ romanhaft. Tagsüber hält die blinde Großmutter sie bei sich fest, indem sie ihre Kleider aneinander stickt. Die Familie hatte einen Untermieter, der sie ein wenig mit der größeren Welt bekannt gemacht hat und schließlich haben sich die beiden verliebt. Doch der Mann musste gehen, versprach aber nach einem Jahr zurückzukehren, dann würden sie heiraten. Nun weiß sie, dass er wieder in der Stadt ist, aber zu ihr zurückgekehrt ist er noch nicht.

Ähnlich wie in „Arme Leute“ lässt sich der Protagonist schließlich dazu einspannen, diese Beziehung irgendwie wieder herzustellen. Gerade ist die junge Frau soweit, die alte Liebe für eine neue in den Wind zu schießen, da taucht der alte Geliebte auf und sogleich geht sie mit ihm davon und der neue Freund fügt sich in das Schicksal. Ähnlich stark wie in einigen früheren Texten macht Dostojewski das Thema, dass die Frau den neuen Mann immer wieder darauf zu verpflichten versucht, dass sie beide in Zukunft wie Geschwister seien.

Am interessantesten an „Weiße Nächte“ ist heute wahrscheinlich, wie Dostojewskis die Themen typisch romantischer Romane Figuren zuordnet, die ihr eigenes Leben schon nur noch im Modus der Literatur begreifen können und damit vielleicht unter gewisse Themen zumindest in der einfachen Durchführung eine Art Schlussstrich zieht.

Ansonsten überzeugt mich der Text nicht wirklich. Gewiss er ist halbwegs kurzweilig, aber eben doch auch vor allem wieder ein Werk, das von in Dialogen exzessiv entwickelter Melodramatik lebt. Eine besondere Atmosphäre durch Beschreibung wird nicht herausgearbeitet und die geistige Welt, über die die großen Romane ihre Atmosphäre gewissermaßen durch Tat und Dialog entwickeln, ist noch sehr reduziert. Es ist die Welt einer überspannten Romantik, die zwar als selbstkritische entwickelt wird, aber eben doch in den Platten Topoi von Liebe auf den ersten Blick und Nebenbulerschaft

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