Ein Revolutionär ohne Reiz – Dostsojewskis „Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“.

„Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“ von Fjodor Dostojewski lässt sich durchaus gut an, enttäuscht dann aber doch im Vergleich zu anderen Werken des Autors.

Der Roman erzählt von dem Gut, das ihm den Namen gibt. Dort lebt der Onkel des Erzählers, auf dem Weg zu dem sich der Erzähler zu Beginn befindet. Bei diesem Onkel soll ein Mann namens Foma Opiskin leben, und bei Begegnungen mit zahlreichen Bewohnern des Gutes erfährt der Erzähler allerlei seltsames. Opiskin scheint ein dünkelhafter Städter zu sein, der sich viel auf seine Bildung einbildet und versucht, das Gut von vorne bis hinten umzukrempeln. Er lehrt den Leibeigenen Französisch, verbietet ihnen zu tanzen, zwingt einen Diener des Onkels, ihn mit eure Exzellenz anzureden und allerlei Verrücktheiten mehr. Vor allem scheint dem niemand Widerstand zu leisten, zumindest der nicht leibeigene Teil der Bewohnerschaft steht vollkommen unter dem Bann von Opiskin und besonders der Onkel.
Parallel gibt es noch ein paar andere Entwicklungen. Der Erzähler wurde eingeladen, um die Hand einer jungen Frau anzuhalten, aber es könnte sein, dass auch der Onkel in diese Frau verliebt ist. Und ein Gast hat vor, eben jene Frau zu entführen, was dem Erzähler ganz zu passt kommen würde, denn er hat keine Lust auf die Ehe, aber helfen will er da dann doch nicht…

Das alles klingt sehr unterhaltsam, und die ersten etwa 100 Seiten mit der Vorstellung der Bewohner sind es auch. Aber im Vergleich zu anderen Romanen Dostojewskis ist es unerträglich platt. Ja, es soll wohl eine Art Komödie sein, und die darf sich Karikaturen erlauben. Aber es wird nie so wirklich klar, wie das Ganze überhaupt funktionieren soll. Dieser Opiskin ist einfach unausstehlich. Seine Ideen sind so verrückt, dass es unerklärlich bleibt, dass man ihn nicht schon vor Ewigkeiten in Schimpf und Schande davongejagt hat. Natürlich handelt es sich wieder um Dostojewskis altes Thema: Ein überkanditelter Westler, der mit „neuen Ideen“ das gute alte Mütterchen Russland in Unordnung bringt. Plötzlich wünschen sich Leibeigene neue Namen, da ihre nicht edel genug seien, traditionelle Tänze werden aufgrund ihrer Vulgarität verboten. Untugendhafte Kunst und entsprechende Lebensweisen sollen ausgemerzt werden, alles soll der Veredelung der Gemeinschaft dienen. Aber anders als dem Anarchisten Pjotr Stepanowitsch etwa und seinem halb freiwilligen Mitstreiter Stawrogin in „Die Dämonen“ fehlt Opiskin jegliches Charisma ebenso wie jegliches Ziel. Doch selbst wenn wir akzeptieren, dass sie sich bei ihm einfach um einen selbstgerechten Vollidioten handelt, ist immer noch nicht erklärt, warum der Rest des Gutes den Unsinn mitmacht.
Opiskin erinnert mich manchmal an den Pumuckl. Ihm fallen allerlei Verrücktheiten ein, die er dann sofort umgesetzt haben will, bis hin zu Aktionen wie, dass er einem Kind den Namenstag neidet und entscheidet, am nächsten Tag nun auch Namenstag zu haben. Oder, dass er das Gefühl hat, auf einem minderen Platz in der Kalesche zu sitzen und nun die Besitzerin des von ihm erwünschten Platzes kneift (das ist doch originär Pumuckl, oder?). Auf einer kurzen Erzählung von wenigen zehn Seiten würde das vielleicht funktionieren, auf 300 Seiten nicht. Dass man es dennoch halbwegs unterhalten durchliest, liegt an der Stärke Dostojewskis in den Dialogen und in der Zeichnung der Nebenfiguren, an die großen Romane und auch an die stärkeren der kurzen Texte kommt „Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner“ allerdings nicht im Ansatz heran .

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