Von Christoph Meckel habe ich hier auf Empfehlung einer Leserin hin bereits den kurzen Roman „Die Messingstadt“ und die Erzählungssammlung „Nachtsaison“ besprochen. Beide dürften in ihrer Kombination von Hardboiled und zarter Poesie in der deutschsprachigen Literatur, wenn nicht in der Weltliteratur, relativ einzigartig sein. Robert Walser trifft Raymond Chandler.
In der längeren Erzählung „Licht“, die 1978 erschienen ist und gerade neu aufgelegt wurde, fehlt der Hardboiledaspekt. Und entsprechend der Nimbus des Einzigartigen. Auch dieser Text hat seine schönen Momente, etwa:
“Der Winterabend begann am Nachmittag. Die Angler trugen volle Eimer nach Hause. Der Schnee wurde blau, jeder Baum ein Vogelhaus, Geflatter in Krähenbäumen, schläfriges Krächzen, Uferbäume und Bootshäuser dunkel. Glattgerodelte Wege im Zwielicht. Wir balancierten in eine Ortschaft, an hochgeschaufeltem Schnee vorbei in das nächste Gasthaus. In der Gaststube war es so heiß, daß die Brille beschlug und die Finger schmerzten. Es roch nach Schinkenomelett, Zigarren und Wein. Der Bauernstammtisch redete Dialekt, viel Hobelspäne im Maul und Bauchrednerei, ich kann das bloß verstehn, wenn aus der Zeitung zitiert wird.”
Gleichzeitig nimmt Meckels Tendenz zur reinen Aufzählung teilweise überhand. Besonders in der ersten Hälfte der Erzählung liest sich etwa jede zweite Seite so:
“Die leeren, langsam fahrenden oder im Regen parkenden Taxis, die schäbigen Hotels mit den Weltklasse-Namen (wir kannten einige aus der Zeit des Anfangs, als wir in billigen Zimmern verabredet waren ). Die Gartenstraßen, die Parks und die Tennisplätze , Villen und Bungalows unter Ulmen, Sacharinschachteln für die entsprechenden Leute, aber für mich ist das nichts, sagte Dole, ich könnte nie in solchen Kästen leben. Die mit Laub überschütteten Bahndämme im November, Rauch und Windlichtzauber eines frühen Juniabends, die Flohkinos auf der Nordseite, die Humboldtstraße mit den schmierigen Kellerkneipen, wo Katzen Fischreste unter Bänken fraßen; die Flußbrücken in der Nacht und die Uferwege am Kanal, Lametta-Geräusch in U-Bahnschächten, Sommerabende in einem Biergarten und plötzlicher Rock’n Roll, wenn ein Betrunkener aus der Nachtbar fiel und die Schwingtür sekundenlang zur Straße hin offen stand. Und wir dachten die Zeit mit, eine frühe Nacht, uneingeschränkt und kostbar für die Liebe.”
Inhaltlich dreht es sich um zwei Menschen in ihren 30ern, die beide als Journalisten arbeiten und seit Jahren durch eine schwierig genau zu definierende Liebesbeziehung verbunden sind. Anfangs findet der Erzähler einen Brief seiner Partnerin an einen – realen? Fiktiven? – Geliebten. Es scheint eine relativ klare Sache: Wir lesen die Erinnerung eines Betrogenen. Die Beziehung läuft dennoch weiter, und verschiedene Geschehnisse geben Anlass zu den Rückblicken, die in die monierten Aufzählungen münden. Am interessantesten aber wird mit der Zeit die Beziehung selbst. Wir stellen fest: Die beiden leben noch nicht einmal zusammen. Hat es in der Vergangenheit für beide jeweils andere Nebenpersonen gegeben? Auch das liegt zeitweise nahe, wird aber nicht wirklich festgemacht Erklärt das wiederum die relative Lockerheit, mit der der Erzähler über den Brief und dessen Bedeutung nachdenkt? Am Ende folgt allerdings eine so große Erschütterung, dass man auch auf die Idee kommen könnte, dass die Milde eine retrospektive Milde ist, die Erzählung also durch das Ereignis zum Schluss modifiziert wird.
Gleichzeitig steckt dieser Schluss fast wie ein Gewaltakt von außen in der Erzählung. Als hätte der Autor gemerkt dass man sich so immer weiter erinnern könnte, und musste irgendwie ein Ende finden. Ganz organisch aus dem vorher Entwickelten scheint der Schluss nicht.
„Licht“ ist ein durchwachsener Text, mit Momenten, die fast auf der Höhe sind mit dem Besten von Meckel, allerdings strukturell nicht überzeugend und zeitweise zu sehr ins reine Aufzählen abgleitend. Wie schon bei Else Lasker-Schüler und Klaus Mann stößt zudem die mehrfache unbedachte Verwendung des N-Wortes auf. Bei Mann und Schüler war ich bereit, über das reine Wort weitgehend hinwegzusehen, denn jeweils lang vor dem Zweiten Weltkrieg konnte man davon ausgehen, dass sich die AutorInnen der Problematik noch überhaupt nicht bewusst waren. „Licht“ ist von 1978, und vielleicht muss man das selbst für diese Zeit noch zugestehen, wenn auch definitiv nicht mehr im gleichen Maße. Allerdings gilt auch für Meckel: Es bleibt nicht beim reinen Wort. Schwarze Personen sind hier Teil der Aufzählungen, wie Staffage der Landschaft, in einer Weise, in der man etwa weiße Menschen definitiv nicht erwähnen würde. Sprich: Auch würde das ein Wort gegen ein politisch korrektes ausgetauscht, hätten die Passagen noch einen objektifizierenden Unterton. Das wiederum nicht in der gleichen Intensität wie bei Mann und besonders Lasker-Schüler, aber dennoch.
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