Ich habe mir endlich einmal den gefeierten Horror/Psychothriller „The Purge“ angeschaut. Der kommt ja mit vielen Vorschusslorbeeren. Und was man immerhin sagen kann: Der Film ist relativ spannend. Vielen mag das reichen. Aber ich finde die Ausgangssituation, das ganze Konstrukt dieser Gesellschaft, die einmal im Jahr den Exzess erlaubt und deshalb ansonsten keine Kriminalität mehr hat und auch fast alles, was daraus folgt, so absurd, dass ich mal wieder einen Film-Artikel schreiben muss.
OK, zuerst: Alles ist erlaubt, aber alle morden dann bloß? Sollte man sich nicht eher bereichern? Und obwohl es diese Gesellschaft noch nicht so lange gibt, leben die meisten recht locker mit dem Gewissen, jemanden umgebracht zu haben? Vor allem aber: Die Reichen sind mit ihren Sicherheitssystemen relativ sicher und einige gehen sogar kollektiv Arme morden, weil das die eigentliche Idee hinter dem Purge sei?
Amerika ist voller Waffen. Und anders als in vielen anderen gesellschaftlichen Fragen ist hier die Gleichheit relativ groß. Es gibt mächtige Gangs. Es gibt die Mafia. Viele viele bewaffnete arme Menschen, die dazu auch noch organisiert sind. Ihr wollt mir erzählen, dass ein Tag mit erlaubten Verbrechen nicht relativ bald echte Aufstände von organisierten bewaffneten Armen nach sich zöge, die die Bonzen in ihren Villen heimsuchen würden? Klar, es gibt Über-Bonzen, die sich so gesicherte geheime Komplexe leisten könnten, dass sie das vielleicht überleben würden. Beim ersten Mal. Aber ansonsten wären die Armen, die Gangs, die Jugend von Städten wie Detroit, Boston oder New York bald in den Suburbs unterwegs, hätten die Villen ausgeräumt, das Vermögen der mittleren Bonzenschafft abgepresst und beim nächsten Purge wären ganz andere Menschen reich.
Aber weitergehend noch: Eine stabile Gesellschaft ließe sich so überhaupt nicht erhalten, selbst ein Tag diese Art von „Anarchie“ würde dafür sorgen, dass es nach zwei bis drei Jahren keine Gesellschaft mehr gäbe und das Faustrecht das ganze Jahr gelten würde, bis ein sowohl halbwegs weitsichtiger als auch gebildeter Mensch oder eine Gruppe sich durchsetzen würde und ein neues Gesetz etablieren, das keinen bekloppten „alles ist erlaubt“-Tag enthält.
Und: Andere Kritiken haben es schon angemerkt: Diese Maßnahme ist überhaupt nicht geeignet, das Verbrechen zu senken. Wenn Menschen bewaffnet sind und es weiterhin arme Menschen gibt, gibt es einfach nicht genügend Anreiz, Verbrechen für 364 Tage aufzuschieben und nur an dem Tag auf Verbrechenstour zu gehen, an dem die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass man umgebracht wird.
Aber selbst, wenn wir mal stipulieren, die Gesellschaft könnte genauso funktionieren, wie dargestellt, wirkt so vieles immer noch total absurd und undurchdacht. Nur zwei Beispiele: Wer, der es sich leisten könnte, würde sein Haus in einer solchen Gesellschaft, die für einen Tag das Töten erlaubt, rein defensiv sichern? Klar kommen die Mörder irgendwann an Stahltüren, Sirenen usw. vorbei. Aber ein paar nette Selbtschussanlagen an den offensichtlichen Eingängen würden den Großteil der Angreifer rasch ausschalten und überhaupt dafür sorgen, dass Leute sich sehr genau überlegen würden, ob man Häuser angreift.
Dann die Situation: Die Familie sieht ein, dass man wird kämpfen müssen und – zieht sich mit all ihren Waffen erstmal zurück und versteckt sich. Ballert mit der verdammten Shotgun doch vorher nochmal schnell durch den Briefkasten, dann habt ihr es danach mit deutlich weniger Gegnern zu tun.
„The Purge“ funktioniert wirklich nur, wenn man das Hirn komplett ausschaltet.
PS
Hätte ich sie nicht erst jetzt veröffentlicht, man könnte meinen, die Köpfe hinter „The Purge – Anarchy“ hätten meine Kritik gelesen. Aber manche Probleme sind eben so deutlich, dass man sie kaum übersehen kann. Dieser Film versucht eigentlich alle Fehler des Vorgängers zu korrigieren, und schafft das größtenteils erfolgreich. Das Thema Verteidigungsanlagen wird gar nicht mehr angeschnitten, so dass die Absurdität rein defensiver Mechanismen sich nicht mehr aufdrängt. Diesmal gibt es tatsächlich eine politische Gruppierung, die den Purge nutzt, um gegen das System zu kämpfen und zugleich wird deutlich, dass die Regierung sehr aktiv mit-„säubert“, was zumindest zu erklären hilft, warum die Bonzen während der Säuberungen relativ ungestört auf Arme losgehen können. So ist der zweite Films zwar sicherlich noch kein filmisches Meisterwerk, auch kein herausragender Horror oder Thriller. Aber doch immerhin etwas, das man gucken kann, ohne sich ständig an den Kopf zu greifen. Diese Weltordnung, sie ist zwar noch lange nicht realistisch, und das muss ja auch nicht sein. Aber immerhin plausibel genug, dass man sie innerhalb des für Hollywood notwendigen Maßes an „willful suspension of disbelief“ ganz gut akzeptieren kann.
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