Eigentlich geht es mir auf die Nerven, immer wieder Texte verteidigen zu müssen, die ich gar nicht besonders stark fand. Aber es ist mal wieder soweit. Auf Amazon.com stehen Rezensionen, die Veronica von Mary Gaitskill eine prätentiöse Sprache vorwerfen.
Ernsthaft Leute, wenn Euch in einem literarischen Text Sprache, die über die reine Informationsvermittlung hinausgeht, nicht zusagt (wobei noch nicht mal das stimmt, denn auch über poetische Momente werden Informationen vermittelt), lest Bauanleitungen, lest Telefonbücher, lest Dan Brown. Solche Momente, in denen sich die Sprache auf das Geschehen einlässt, sind sicher das Gelungenste an Veronica.
Auch thematisch ist der Text eigentlich recht interessant. Die Hauptfigur ist, wenn wir ehrlich sind, nicht Veronica. Alison reißt als junges Mädchen, späte 60er oder frühe 70er, aus ihrem New Yorker Elternhaus aus und landet irgendwann in San Francisco. Sie lebt mit Menschen zusammen, die vor allem Musik hören und Drogen nehmen. Sie kehrt irgendwann zurück, wird von einer Modelagentur entdeckt und nach Europa gebracht. Das Business wird mehr oder weniger als eine elitäre Art der Prostitution beschrieben. Sie wird um ihr Geld betrogen und landet erneut in New York und nach einigem Zögern auch wieder beim Modeln. Veronica ist ein Mensch, den sie in ihrem späteren Leben kennenlernt, eine Gesprächspartnerin, von der wir eigentlich gar nicht so viel erfahren. Nur dass beide Hepatitis haben und zumindest Veronica auch AIDS ist definitiv klar.
Der Roman bietet nicht wirklich viel Neues, von dieser finsteren Perspektive aus dem Modebusiness dürfte jede schon einmal gelesen haben. Schade fand ich, dass nicht länger in der Zeit der Flucht verharrt wird. Es gibt immer noch verdammt wenig gute Hippie-Romane, und ich kenne keinen aus der Perspektive einer Frau. Ja, selbst bei den Dokumentationen hapert es. Joan Didions „Slouching towards Bethlehem“ ist literarisch sehr stark aber eindeutig eine Außenperspektive, und Lue Ann Hendersons Quasi-Memoiren brechen vorzeitig ab und konzentrieren sich erneut vor allem auf Kerouack und Cassidy.
Was allerdings die Lektüre von Veronica wirklich schwer macht, ist die überstrapazierte Sprunghaftigkeit. Ständig wechselt Gaitskill zwischen den Zeitebenen, ohne dass das, zumindest in der deutschen Übersetzung, markiert wäre, und sei es nur durch die Verwendung verschiedener Erzählzeiten. Das ginge immer noch, sprächen wir hier ausschließlich von einem Wechsel von Absatz zu Absatz oder von Kapitel zu Kapitel (nein, es gibt keine Kapitel). Aber Gaitskill wechselt teils auch mitten in den Absätzen.
Werden sowohl von Absatz zu Absatz als auch innerhalb der Absätzen so häufig die Zeiten gewechselt, ohne dass das irgendwie stärker markiert ist, macht das die Lektüre doch recht anstrengend. Und unnötig anstrengend, das ist die eigentliche Crux. Die Protagonistin hatte zwar ein bewegtes Leben und einige Probleme, aber sie wirkt von ihrer Erzählung her eigentlich nicht wie ein Mensch, der ständig vom Hundertsten ins Tausendste kommt oder sich zeitlich nicht orientieren kann. Ich sehe also die inhaltliche Motivation für diese strukturelle Verfahrensweise nicht wirklich.
Wer sich davon nicht abschrecken lässt, bekommt ein thematisch doch recht interessantes Buch, etwa auch wie das Verhältnis der Kinder zu den Eltern beschrieben wird, des Vaters zur Mutter und das Mitleid der Tochter ob der Verzweiflung, als die Mutter zeitweise den Vater verlässt, das ist gut gestaltet. Und es ist definitiv kein Roman mit einer prätentiösen Sprache, die poetischen Momente verstecken sich und verbinden sich durchaus gelungen mit dem Berichtenden, das viele Menschen heute anscheinend allein von Literatur erwarten. Die Schwierigkeit des Romans liegt in der Form.
Weitere Besprechung bei Letteratura.
Bild: Eigenes.
Ich glaube, mit Zeitsprüngen kann ich besser leben als mit Bedienungsanleitungssprache. Ich habe es mir mal besorgt und bin gespannt! Danke für den Tipp.
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