Große Geschichten über kleinere Schicksale. „Das Öde Land“ von Oliver Plaschka.

“Das Öde Land” ist glaube ich das letzte Buch von Oliver Plaschka, über das ich noch nicht geschrieben habe. Dabei habe ich es vor längerer Zeit schon einmal gelesen, im Zug nach Berlin, ich denke es war auf dem Weg zum Polly-Preis oder zum Literaturpreis Prenzlauer Berg. Aber bis ich zurück war und alles geschrieben hatte, was durch den Aufenthalt anfiel, hatte ich wohl vergessen, auch hier noch eine Besprechung zu zu verfassen.

„Das öde Land“ ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. Der Autor stellt ihr ein längeres Vorwort voraus, dass die einzigen einzelnen Texte kurz beleuchtet und auch auf die Kurzgeschichte als Form reflektiert. Da es außerhalb der wenigen Zeitschriften oft schwierig ist, Kurzgeschichten überhaupt zu veröffentlichen, handelte es sich schon bei Erscheinen oft um ältere Texte, und Plaschka bezeichnet sie als „all jene meiner Fehlschläge, die bislang in versprengten und teils vergriffenen Anthologien erschienen, in neuer, überarbeiteter und etwas weniger gescheiterter Form als zuvor.“

Was ein wenig wie eine Entschuldigung klingt, die überhaupt nicht nötig gewesen wäre. „Das öde Land“ versammelt größtenteils starke Texte, und auch wenn einige sicher das Niveau der besseren unterschreiten, eine wirkliche Katastrophe findet sich nicht. Die Texte sind alle im weitesten Sinne fantastischer Natur oder dem Feld der Science-Fiction zuzuordnen, doch das ist sehr grob gesprochen. Was den Band interessant macht, ist, wie, weit abseits der typischen Topoi der Genres, die Probleme einfacher Menschen ausgelotet werden, bzw. nicht unbedingt immer gerade Menschen, aber das Menschliche auch der nichtmenschlichen Figuren ist doch das, was berührt. Und dabei beeindruckt, wie viel thematisch in einigen dieser kurzen und dichten Texte steckt, und wie leicht das dann meist zugleich ausgeführt ist. Hervor heben möchte ich etwa die Geschichte „Ruthie“, in der ein älterer Mann in einem offenkundig in der Zukunft angesiedelten Setting mehrfach einen Wohnungslosen in dessen nicht mehr Flugfähigen (oder sich überhaupt fortbewegenden) Fliegenden Auto antrifft. Aus den Gesprächen lernt man, dass der Mann schon länger in der Gegend gelebt hat, doch diese sich radikal verändert habe. Er wolle nun heim zu seiner Frau Ruthie, ohne die er sich komplett verloren fühlt. Immer wieder bewegt sich das Gespräch zu dem nahen Weltraumbahnhof, wo seit Ewigkeiten ein Schiff mit Menschen in Kryostasis auf den Abflug wartet. Es scheint, dass diese Abflug nie mehr stattfinden wird. Mit der Zeit lernen wir, dass es Ruthie gar nicht mehr gibt, sie ist lang vertorben. Der Mann ist Bewohner eines Altenheims, aber läuft immer wieder davon. Es zieht ihn zurück in diese Gegend, in der er gelebt hat. Und früher, als er Geld hatte, hatte er für seine Frau einen solchen Kryostasis-Flug gebucht. Dann kamen Schicksalsschläge dazwischen und für ihn reichte das Geld nicht mehr. Am interessantesten sind aber definitiv die letzten Seiten. Denn die sollten eigentlich nicht funktionieren. Hier befinden wir uns im Kopf dieses Mannes und erleben den Weg zum Flughafen ein weiteres Mal, und es wird eigentlich nicht neues enthüllt, nichts, das wir noch nicht wissen. Und doch ist diese erneut hoffnungsvolle Suche nach Ruthie, Von der wir genau wissen, dass sie scheitern wird, ein Gänsehautmoment, etwas, das den Text in einer Weise abrundet, wie es die reine Enthüllung nicht geschafft hätte. Unnötig derweil meines Erachtens, dass der Obdachlose zugleich auch noch als Cyborg enthüllt wird, das ist meines Erachtens ein Thema zu viel, das vom starken Hauptthema eher ablenkt.

Ähnlich überzeugend ist die Geschichte von Wasserspeier, der auf eine Stadt herab schaut und versucht zu verstehen, wer oder was er eigentlich ist. Wieso kann er sprechen und die anderen Wasserspeier nicht? Wer sind diese zuerst namenlosen, dann Ferdinand heißenden und dabei nummerierten Wesen, die immer wieder bei ihm vorbeischauen? Ich will hier nicht zu sehr ins Detail gehen, damit euch im schlimmsten Fall nur eine Geschichte „gespoilert“ ist. Aber auch dieser Text behandelt Themen wie Identität, Freiheit, das Fließen der Zeit sowie eine Theorie des menschlichen, die die Menschen vor allem in Analogie zu Tauben begreift, ohne dass man das Gefühl bekommt, er wäre überfrachtet. Ganz leicht und verspielt und mit einigem Humor entwickelt sich die Erzählung.

Es gibt sicherlich noch drei oder vier weitere Texte, die dieses hohe Niveau erreichen, und das allein sollte eine Empfehlung für den Band sein. Freunde von „Der Kristallpalast“ und „Fairwater“ treffen zudem alte Bekannte wieder.

Es tut so gut, phantastische Texte zu lesen, die sich mit einfachen Menschen und Figuren beschäftigen und nicht immer gleich den Kampf ums große Ganze oder mindestens einen Staat in den Mittelpunkt stellen. Die Science-Fiction erlaubt sich das etwas öfter, man denke allein an die Klassiker von Stanislaw Lem, James Tiptree, Philip Dick oder den Strugatzkis. Die Fantasy meines Erachtens zumindest im Rahmen des Romans noch viel zu selten. Die Kurzgeschichte hat dort viel mehr Freiheiten, aber dabei darf es nicht bleiben.

Bild: Pixabay.

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