Geschichte zweier Menschen, die sich im Leben neu finden müssen. „Im Farindelwald“.

“Im Farindelwald” von Ina Kramer ist nicht nur einer der besten DSA-Romane, die ich bisher gelesen habe, sondern auch einer der besseren fantastischen Romane überhaupt, mindestens der „klassischen“. Der Text erzählt eine relativ einfache Geschichte. Ein junger Medicus hat seinen Vater verloren. In den Tagen, in denen er seine Sachen packt, um die Heimatstadt zu verlassen und woanders sein Glück zu suchen, beobachtet er eine Hexenverbrennung. So sehr ihn das Spektakel fasziniert, so sehr bestätigt es ihn auch dumpf in seinem Bestreben, eine andere Heimat zu finden. Im Nachlass seines Vaters entdeckt er ein altes Tagebuch, das von einer spannenden Begegnung berichtet. Doch die wichtigsten Seiten fehlen…

Eine junge Hexe, oder eine junge Frau, die noch nicht ganz eine Hexe ist, kehrt nach Hause in einen nahen Wald zurück, um ihre Wohnung zerstört vorzufinden. Sie spürt die Hilferufe und dann den Tod der Mutter im Feuer. Erst ist sie verzweifelt, dann beginnt sie sich zu erinnern, was zu tun ist. Sie gräbt eine magische Salbe aus, beginnt, einen Besen vorzubereiten und sucht eine alte Freundin der Mutter auf.

Ich möchte nicht zu sehr ins Detail der Handlung geben. Die erste Hälfte des Romans folgt den Vorbereitungen und den Reisen der Beiden. Besonders der Plot des Medicus fühlt sich dabei so stark wie wenig anderes genau wie das an, das ich mit Das Schwarze Auge verbinde. Begegnungen, das Leben von Menschen in einer spätmittelalterlichen Welt, Landschaften, Reisen zwischen Wunder und Bedrohung. Der Medicus lernt eine Bardin kennen, und durch Lieder und Geschichten wird gegenüber der kleinen Welt des Romans die große Welt von Aventurien aufgespannt. Der Hexenplot im Wald schmiegt sich derweil sehr eng an die Natur und das Arkane an, man könnte es fast als eine Art naturverbundenen Bildungsroman beschreiben. Detailverliebt und poetisch. Überhaupt zeichnet der Roman immer wieder sehr starke Bilder:

“Als Sylphinja erwachte, war die fünfte Stunde nach Mitternacht eben angebrochen. Das Mädchen fror, und glitzernder Tau bedeckte seine Glieder. Noch war die Sonne nicht über den Horizont gestiegen, aber die Schwärze der Nacht hatte sich in bläuliches, dunstiges Frühlicht verwandelt. Die nächtlichen Tiere huschten und flatterten in ihre Schlupfwinkel, Höhlen oder Baue zurück. Die ersten Vögel sangen ihr Morgenlied – tragend und süß die zänkische Amsel, schüchtern schwatzend der schillernde Star.”

In der zweiten Hälfte kommen die Beiden dann durch unglückliche Umstände im Farindelwald zusammen. Einem Wald, der sich gegen alle zu verschwören scheint, die ihn betreten, und die Erzählung kippt ins Märchenhafte. Das ist kein unglückliches Kippen, sondern eins von vielen Beispielen, wie früher Angedeutetes später realisiert wird. In diesem Fall hat es den Anschein, als trete der Medicus in eine der märchenhaften Geschichten, die die Bardin ihm unterwegs erzählt hat. Das Rätsel des Waldes und wie man aus ihm wieder herausfindet, formen den runden Schluss des Romans, der gar keinen Nachfolger bräuchte und dennoch einen zweiten Teil hat, über dessen Qualität ich noch nichts sagen kann.

„Im Farindelwald“ aber ist in jedem Fall ist ein kleines Meisterwerk, das vieles, das außerhalb einer Reihe wie DSA publiziert wird, bei weitem überragt.

Es ist ein auch ein Text, an dem sich meines Erachtens sehr gut die beiden Seiten der „Fantasy sollte endlich als echte Literatur anerkannt werden“-Debatte demonstrieren lassen. Denn „Im Farindelwald“ ist ein Text, von dem man das ohne weiteres verlangen kann. Er interessiert sich für relativ normale Menschen. Auch wenn eine davon zaubern kann, es dominieren alltägliche Fragen; Wie lebt man? Welche persönlichen und interpersonellen Schwierigkeiten hat man zu bestehen? Das Verhältnis zu den Eltern, zum Umfeld, zur Natur und zur Gesellschaft werden ergründet. Solche Themen sind hier und in den meisten Texten, die in positiv hervorhebender Absicht „Literatur“ genannt werden, essentiell und nicht nur Mittel zum Zweck, um dann relativ bald auf einen großen Kampf um ein Land, die Krone oder gleich die ganze Welt einzuschwenken. Ich sage nicht, dass solche Texte niemals das Recht auf Lobpreis und Wertschätzung hätten. Aber es ist einfach unwahrscheinlich, dass hunderte, ach was, hunderttausende, solcher Texte es schaffen, auf einem solchen Niveau über diese Themen zu schreiben, dass sie entsprechend gefeiert wurden. Wie viele nicht fantastische Kriegs- und Abenteuerromane werden denn gemeinhin als Weltliteratur gehandelt oder für preiswürdig befunden? Und selbst die gefeierteren Fantasy-Romane drehen sich einfach noch immer zu mindestens 90 Prozent um solche Themen.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite könnte man sich tatsächlich vorstellen, dass „Im Farindelwald“ ohne DSA-Siegel erschiene, das mit dem Erbe der Mutter Ringen und ein Verhältnis zur Natur finden noch etwas stärker betont würden, und dass es dann als einer der typischen Texte für die Kandidatur zum Deutschen Buchpreis erscheinen könnte. „Eine junge Frau verliert ihre Mutter, entdeckt das magische Geheimnis ihrer Geburt und stellt sich einer feindlichen Gesellschaft.“ Bester Buchpreis-Bait. Aber diesem Roman ist es am Ende wichtiger, auch zu unterhalten (und das ist gut!), statt vor allem eine Parabel darüber zu erzählen, wie die moderne Welt Frauen nieder hält. Nicht, dass nicht das auch erzählt würde, aber ich bin mir sicher, dass das deutlicher fantastische Setting und das Interesse an einem sauberen Plot dieses Buches seine Preischancen eher verringern würde, als sie zu erhöhen, wie es sein sollte.

Dass “Im Farindelwald” ein praktisch unbekannter Roman ist, dürfte aber sogar einem doppelten Vorurteil geschuldet sein. Dass der literarischen Öffentlichkeit gegen Fantasy, sowie das der literarischen Öffentlichkeit einschließlich der phantastischen gegenüber Reihenromanen. Oder auf wie vielen Fantasy-Bestenlisten habt ihr diesen Text, “Das Jahr des Greifen” oder “Der Scharlatan” bisher entdeckt?

Dass diese Vorurteile existieren und solchen Texten aktiv schaden, schließt aber nicht aus, dass es viel mehr solcher Texte bräuchte, die das einfache Leben, alltägliche Probleme und persönliche Beziehungen behandeln, OHNE spätestens ab der Mitte in Richtung Gefährten- Landes- oder Weltenrettung zu eskalieren und/oder den Aufstieg einer einfachen Figur zur/zum HeldIn als das eigentlich Relevante in den Mittelpunkt zu rücken, wenn dieses Vorurteil wirksam und mit Recht gebrochen werden soll.

Gibt es Schwächen? Manchem mag die gewollt altertümliche Sprache aufstoßen, das Ganze ist erzählerisch sehr nach einem Roman des 19. Jahrhundert gemodelt, bis hin zu Wendungen, die moderne Lesende vielleicht gar nicht mehr kennen:

„Der Wald war schwarz, viel schwärzer als der Nachthimmel, an dem unzählbar die Sterne funkelten, doch Sylphinja sah alles klar und deutlich. Es hatte sich wieder geregt – ein wenig hatte sie wohl nachgeholfen –, und sie war e s zufrieden.“

Meines Erachtens bekommt diese Stilisierung aber dem Roman und seinen Themen sehr gut, mit Ausnahme einiger Dialoge, die all zu gestelzt wirken.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

11 Kommentare zu „Geschichte zweier Menschen, die sich im Leben neu finden müssen. „Im Farindelwald“.

  1. „Das Jahr des Greifens“ könnte ich mir noch vorstellen. Das ist ja schon relativ bekannt. Ich kannte es vom Titel her auch schon lange bevor ich erfahren habe, dass es sich um einen DSA-Roman handelt. Mein erster DSA-Roman war leider „Die Piraten des Südmeeres“ von Ulrich Kiesow. Und das fand ich so furchtbar mit seinem vulgären Humor und der Plumpheit, dass ich mich seitdem an keinen weiteren DSA-Roman getraut habe. Aber wie ich hier lese, könnte ich das ja doch mal ändern. Bin aber auch kein Rollenspieler und habe als Jugendlicher mit der Welt nur durch das Computerspiel „Schatten über Riva“ Bekanntschaft mit der Welt gemach.t

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    1. Denke die Faustregel ist: Im Norden bleiben. Ich habe bisher tatsächlich mehr gute als schlechte Texte gelesen, aber ab dem Tulamidenreich setzt halt dieser Klischeeüberladene Orientalismus ein, worüber ich demnächst nochmal etwas schreibe & ansonsten meide ich diese Romane jetzt. Und noch weiter südlich soll es noch schlimmer sein, was auch die Klappentexte befürchten lassen.

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  2. Danke für diesen Lesetipp! Ich spiele schon lange DSA, habe aber bisher relativ wenige Romane gelesen. Wie Du diesen hier beschreibst, sollte ich das unbedingt mal ändern …

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  3. „Dass “Im Farindelwald” ein praktisch unbekannter Roman ist, dürfte aber sogar einem doppelten Vorurteil geschuldet sein. Dass der literarischen Öffentlichkeit gegen Fantasy, sowie das der literarischen Öffentlichkeit einschließlich der phantastischen gegenüber Reihenromanen. Oder auf wie vielen Fantasy-Bestenlisten habt ihr diesen Text, “Das Jahr des Greifen” oder “Der Scharlatan” bisher entdeckt?“

    Ich will dir da nicht komplett widersprechen, aber die Bernhard-Hennen-Bücher finden sich ja schon gerne mal auf Bestenlisten (v. a., wenn du auch sowas wie Lovelybooks miteinschließt). Und „Das Jahr des Greifen“ ging seinerzeit glaub ich ziemlich durch die Decke. Aber Reihen haben natürlich immer das Problem, Leute ohne Grundkenntnisse eher abzuschrecken und gerade „kleinere Bände“ wie es dieser hier zu sein scheint, haben es da sicher noch mal extra schwer, hervorzustechen.

    Ich habe vor langer Zeit mal „Rabengott / Das Gesicht am Fenster“ gelesen, ansonsten habe ich keinen Bezug zu DSA. Das Buch war in Ordnung. Überraschend schlüpfrig.

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    1. Ich dachte jetzt schon eher an Preise & Listen wie auf Tor „10 beste Romane“ usw.
      „Das Jahr des Greifen“ kann in sofern ne Ausnahme sein, als dass man sich da den damals wohl größten dt Fantasynamen geholt hat. Aber selbst von diesem Buch hab ich seitdem nichts mehr gehört.

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