Vorläufiger Abschluss der George Sand Reihe. Kürzere Texte und Fazit.

Mit den kürzeren Texten “Die Marquise”, “Livinia” und “Pauline” schließt der fiktionale Teil meiner Sammlung von Werken George Sands. Da die vier Texte nichts Besonderes mehr sind, handele ich sie hier kurz in einem ab und nutze den Raum für ein Fazit des Ausschnitts des Gesamtwerkes, der mir auf Deutsch vorliegt. Mein Buch enthält zusätzlich noch die umfangreiche Autobiografie, zu der es mich bis jetzt nicht zieht, außerdem habe ich anderswo in zwei Bänden „Consuelo“ vorliegen, das ich gern irgendwann noch besprechen möchte, allerdings muss ich dafür erst sicherstellen, dass die deutsche zweibändige Ausgabe tatsächlich die drei Bände des vielleicht als Hauptwerk zu bezeichnenden französischen Originals beinhaltet. Über 1000 Seiten lesen und dann feststellen, es gibt den dritten Band nicht auf Deutsch: nein. Solche Probleme überlasse ich gerne den George R.R. Martin – Fans.

Gut denn. „Die Marquise“ ist eine einfache Liebesgeschichte, die die Marquise, eine alte Frau, die im 18. Jahrhundert den Großteil ihres Lebens verbracht hat, einem Mann erzählt, der sie im 19. interviewt. Eine solide kleine Novelle ohne besondere Momente, allein diesen Satz sollten sich all die Menschen, die versuchen, relativ unmittelbar aus literarischen Texten Vergangenheit zu erschließen, worunter leider zumindest in meiner Universitätszeit auch regelmäßig die culture studies der Philologien zählten, ins Stammbuch schreiben:

“»Wie Sie sich in unserer Zeit auskennen! Das ist ja ganz entwaffnend. Eh, Sie müßten gerade deshalb, weil solcherlei Einzelheiten in den Memoiren berichtet und in erstaunlicher Weise herausgestellt sind, daraus schließen: Sie waren selten und standen in Widerspruch zu den Gepflogenheiten und Sitten jener Zeit. Seien Sie versichert, sie machten wirklich damals ihren großen Skandal!”

„Livinia“ ist etwas stärker. Man könnte das Ganze als gotische Liebesgeschichte bezeichnen. Ein Mann hat seine Geliebte für eine andere sitzen lassen, eigentlich wollen die beiden sich nur ihre Briefe übergeben, damit der neuen Eheschließung nichts im Wege steht. Denn auch die Geliebte hat nach vielen Jahren einen neuen. Doch als der alte den neuen kennenlernt, wird seine Eifersucht geweckt. Inmitten von Gebirgen und Gewittern kämpft der alte Liebhaber um Liviana. Eigentlich scheint schon alles geklärt, die Dame hat ihm eingestanden, dass sie ihn noch immer liebt und nicht den neuen, doch erst macht er einen Rückzieher, muss darum sie, die sich schon auf die Reise begeben hat, verfolgen, und als er endlich um ihre Hand anhält, weist sie ihn ab. Einmal mehr verweigert George Sand das typische Ende einer solchen Geschichte, zu dem die beiden nicht zusammen kommen, und doch relativ bald in ihren neuen finanziell guten Situationen glücklich werden. Kurzweilig, mit ein paar gewaltigen Naturbeschreibungen, aber jetzt auch kein Meisterwerk, das man ewig in Erinnerung halten wird.

Stark beginnt „Pauline“, mit ein paar einprägsamen Bildern einer absolut hinterwäldlerischen Kleinstadt. Auch die Geschichte ist interessant. Eine noch relativ junge Frau wird aus Versehen in diese kleine Stadt verschlagen, da sie in der Kutsche eingeschlafen ist. Es ist ihre alte Heimatstadt, wo sie eine unglaublich enge Freundschaft zu Pauline gepflegt hat. Doch aufgrund der Wahl ihres Lebenswegs musste diese Freundschaft zerbrechen. Nun besucht sie die alte Freundin und knüpft das Band aufs Neue. Mit der Zeit erfahren wir, es ist nicht etwa, wie man im ersten Moment denken möchte, die Prostitution oder eine absolut unerhörte Liebe, sondern die Schauspielerei, die nun zwischen den beiden steht. Doch die Zeiten haben sich gewandelt, und nach anfänglicher Abwehr umarmt die Kleinstadt die erfolgreiche Schauspielerin und beginnt ihren Ruhm noch zu übertreiben, um zu zeigen, dass man eine der ganz Großen kennt. Die Freundschaft kann also wieder aufgenommen werden. Leider wandelt sich der Text dann im letzten Drittel zu einem über eine Dreiecks-Liebesgeschichte, die stark melodramatisch übersteigert ist. Mich hätte hier ein stärkerer Fokus auf diese Freundschaft interessiert, ohne dass sich so ein komischer Typ in den Mittelpunkt drängt.

Sands Gesamtwerk, soweit ich es überblicken kann, ist in jedem Fall hochinteressant: Texte von denen ich sagen würde, man muss sie zwingend gelesen haben, wie etwa bei den Zeitgenossen Balzac und Zola, finden sich eher nicht. Aber während Balzac auch massig Totalausfälle produziert hat, Texte, die ich kaum bereit bin, Roman zu nennen, unglaublich unfokussierte Langweiler, und auch Zola hat zumindest eine Hand voll von diesen in Petto, liegt das niedrigste Niveau, zu dem Sand fähig ist, im Vergleich unglaublich hoch. Jeder von mir gelesene und besprochene Text hat zumindest einen ordentlich aufgebauten Plot, der sicherstellt, dass man sich nicht langweilen wird und verknüpft das mit einem mindestens angenehmen Sprachniveau. Es gibt durchaus deutliche Unterschiede, Texte die aus dem Werk herausragen, aber wenn man einmal voraussetzt, dass die etwa 60 Romane, die Sand produzierte, dieses untere Niveau halten, dann sticht in erster Linie die Professionalität ins Auge, mit der wieder und wieder gehobene unterhaltsame Literatur produziert wird.

Meist wird Charles Dickens als der erste in dem Sinne professionelle Schriftsteller gehandelt, als dass er die Romanschreiberei selbstbewusst als Warenproduktion begriffen hat und umgesetzt. Dickens erster Roman erschien 1836, geboren wurde der Autor 1812. Sand wurde 1804 geboren, ihre ersten Romane erschienen 1832. Da auch Alexandre Dumas, eine weitere Figur, der man diese Form der Professionalisierung des Romans zuschreiben könnte, sein erstes Werk erst einige Jahre später auf den Markt brachte, könnte man gut auch George Sand als die Person betrachten, die als erste den Weg zur professionalisierung des Romans als Unterhaltungsprodukt fand. Wobei mE Jane Austen bei einem insgesamt höheren Niveau und geringerer Textproduktion sogar noch deutlich früher einen ähnlichen Weg beschritt.

Verwundert hat mich hier und da, wie unpolitisch die Texte dieser im Privaten und in ihren nicht-fiktionalen Äußerungen doch sehr politischen Schriftstellerin oft sind. Gestört hat mich, dass einige auch bezüglich ihrer sozialen Verortung stark in der Luft hängen. Das könnt ihr besonders hier nachlesen.

Ebenfalls stören dürfte in einigen Texten, dass Sand nicht nur, was kaum anders denkbar ist, die Sprache des in ihrer Zeit zu erwarteten alltäglichen Rassismus nutzt, wenn etwa schwarze Nebenfiguren vorkommen, sondern dass sie auch diese Nebenfiguren mit der Ausnahme der Dienerin in „Indiana“ praktisch ausschließlich in ihrer Funktion begreift, also in einer Weise Objektifiziert, für die es selbst in der Literatur des 19. Jahrhunderts schon positive Gegenbeispiele gibt.

Trotz dieser Einschränkungen: ich denke es lohnt sich, sich mit dieser Autorin zu beschäftigen. Gerade wenn man vielleicht nicht die äußersten Schwergewichte sucht, sondern gehobene Unterhaltungsliteratur. Der ein oder andere Text, besonders „Der Teufelssumpf“ und „Tevorino“, ragen über dieses Niveau noch einmal hinaus. Und wer derzeit gar nicht zu neuen Lektüren kommt, da auch Bücher immer teurer werden, findet hier kostenlosen Lesestoff für viele Stunden.

Bild: Wikiart, gemeinfrei.

Kommentar verfassen

Bitte logge dich mit einer dieser Methoden ein, um deinen Kommentar zu veröffentlichen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..