Wohlkomponierter Dorfroman rund um eine Leerstelle – „Nebenan“ von Kristine Bilkau.

„Nebenan“ von Kristine Bilkau ist ein sehr wohlkomponierter Roman rund um mehrere Familien in einem größeren Dorf. Der Klappentext stellt stark das Verschwinden einer Familie im Mittelpunkt dieses Dorfes heraus:

“Ein kleiner Ort am Nord-Ostsee-Kanal, zwischen Natur, Kreisstadt und Industrie. Mitten aus dem Alltag heraus verschwindet eine Familie spurlos. Das verlassene Haus wird zum gedanklichen Zentrum der Nachbarn. Sie alle kreisen wie Fremde umeinander, scheinbar unbemerkt von den Nächsten, sie wollen Verbundenheit und ziehen sich doch ins Private zurück. Ihre Wege kreuzen sich, ihre Geschichten verbinden sich miteinander, denn sie suchen, wonach wir alle uns sehnen: Geborgenheit, Zugehörigkeit und Vertrautheit.”

Man sollte sich den Roman aber nicht als Mystery-Thriller oder ähnliches vorstellen, der vor allem um dieses Verschwinden kreist. Vielmehr ist das sich Gedanken Machen darüber, das, was die Figuren lose verbindet, doch haben die Figuren in beiden Haupthandlungen jeweils ihre eigenen Probleme. Julia etwa versucht durch In-vitro-Fertilisation schwanger zu werden, die Ärztin Astrid derweil bekommt anonyme Briefe zugeschickt. Freundschaften sind in die Brüche gegangen, Beziehungen haben ihre Schwierigkeiten und auf verschiedene Weise wird als übergeordnetes Thema die Verödung von Ortschaften und Kleinstadtzentren durch Geschäftsschließungen und Abwanderungen berührt. All das wird in einer präzisen Sprache berichtet, der Fluss des Textes ist gelungen, der Wechsel zwischen den Perspektiven ebenso. Die verschwundene Familie tritt dabei zeitweise stark in den Hintergrund. Das stört nicht, das ist schon richtig so. Gut möglich, dass diese Begebenheit vor allem, als Loch im Dorf, als Loch in der Erzählung, das Loch in den persönlichen Leben reflektiert, von denen erzählt wird, und die über Nebenfiguren weit über die beiden Fokus-Charaktere hinaus greifen.

Ein wenig mehr stört mich, dass ein wahrscheinliches Verbrechen, mit dem Ärztin Astrid ganz zu Anfang spektakulär konfrontiert wird, und das gewissermaßen als „unerhörte Begebenheit“ der „Hook“ des Romans ist, zwischenzeitlich so sehr in den Hintergrund gerät. Ja, es wird schließlich an die Drohbriefe zurückgebunden, aber sonst bleibt davon nicht viel.

Ansonsten gibt es aber wenig zu meckern, wer eher stille Romane mag, findet hier eine sehr gelungene Erzählung. Auch einer der Texte, der, ginge es allein um literarische Qualität, nach meinem jetzigen Stand (9 Titel), auf der Shortlist stehen sollte (offenkundig geschrieben, ehe die Shortlist verkündet wurde).

Bild: Eigenes.

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