Zwei Bücher wie kein anderes: Bruno Schulz „Zimtläden“ & „Das Sanatorium zur Todesanzeige“ bzw. „Sanduhr“.

Zu Bruno Schulz „Die Zimtläden“ habe ich mir damals eine klassische Rezension gespart und den Autor mit seinem an eine Selbstrezension gemahnenden Exposé weitläufig zu Wort kommen lassen. Damit man besser versteht, warum das zuvor erschienene „Das Sanatorium zur Todesanzeige“ nicht in gleicher Weise überzeugt, muss ich jetzt doch noch einmal ein paar Worte zur besonderen Qualität von „Die Zimtläden“ verlieren.

Es handelt sich um eine Sammlung von insgesamt 15 Kurzgeschichten. Ja, es stehen, wie Schulz in seinem Exposé ausführt, ein Vater und dessen Sohn im Mittelpunkt und besonders des Vaters immer wahnsinniger wirkendes Verhältnis zu Umfeld und Umwelt:

“Im Mittelpunkt der Handlung sehen wir den Vater eine rätselhafte Gestalt, Kaufman seines Zeichens, der an der Spitze einer Schaar dunkler und rothaariger Commis einem Tuchwarengeschäft vorsteht. Wir sehen ihn sich verzehren in ewiger Unrast, tief beunruhigt in seinem Herzen um das ewige Geheimnis, das Wesen der Dinge durch die gewagtesten Experimente immer wieder bestürmen und bedrängen.”

Die Zimtläden

„Kurzgeschichten“ mag im modernen Sinne sogar zuviel gesagt sein. Es handelt sich oft um Szenen und Bilder mit einer zwar vorhandenen, aber schwer zu durchdringenden Handlung, die von den einzigartigen Bildwelten oft geradezu erdrückt wird. Dennoch kann man sagen, dass jede dieser einzelnen Geschichten oder Szenen für sich selbst steht. Sie ist ein kleines Kunstwerk in einem größeren, aber zusammen enthüllen die Texte dann doch den Handlungsbogen, den Schulz in seinem Exposé skizziert. Und sie stellen uns eine fantastisch überzeichnete Stadt vor Augen. Bunt und dreckig, unglaublich lebendig und doch wie von Verfall und Tod an jeder Ecke bedroht. Das wiederum dürfte kein Zufall sein. So unpolitisch Schulz‘ magische Texte auf den ersten Blick wirken mögen, sie dürften doch unter dem Eindruck das immer bedrohlicher werdenden modernen Antisemitismus entstanden sein, der zwar kaum je im Text direkt angesprochen wird, aber wie ein Schatten über allem liegt. Dieses mittelbar Politische mag auch die oft bemühte Parallele zu Kafka erklären, die gezogen wird, obwohl nichts im Stil der beiden Autoren sich auch nur ähnelt. Doch wie in Kafkas älteren Werk die allgemeine Bedrohlichkeit der verwalteten Welt sich über jede Handlung legt, so lauert im Schatten des Werks des 1942 von Nazis ermordeten Autors die Vorahnung einer vernichtenden Gewalt – vielleicht schon in den unschuldigsten Kindheitsmomenten? Stilprobe aus dem ersten Text:

„Durch die dunkle Wohnung im ersten Stock des steinernen Hauses am Ring ging jeden Tag der ganze große Sommer hin durch: die Stille zitternder Luftschichten, die glänzenden Son nenquadrate mit ihren fanatischen Träumen auf dem Fußboden, die Melodie eines Leierkastens, aus der tiefsten goldenen Ader des Tages geholt, zwei, drei Takte eines Refrains, irgendwo auf einem Klavier gespielt, immer wieder von neuem, ohnmächtig zusam menbrechend in der Sonne auf den weißen Trottoiren, verloren im Feuer des tiefen Tages. Nach dem Aufräumen ließ Adela Schatten in die Zimmer, indem sie die leinenen Jalousien herabließ. Dann fielen die Farben um eine Oktave, das Zimmer füllte sich mit Schatten, wie versenkt in das Licht der Meerestiefe, noch trüber zurückgeworfen von den grünen Spiegeln – und die volle Glut des Tages atmete schwer auf den Jalousien, die von den Träumen der Mittagsstunde leise wogten.“

Und noch eine Ähnlichkeit auf den zweiten Blick, so sehr sich die jeweilige Ausprägung unterscheidet: Schulz Texte mögen im ersten Moment an die des lateinamerikanischen magischen Realismus anklingen, bilderreich und überbordend. Aber die Bilder sind so speziell, dass man sich ihre Genese kaum rational erklären kann. Das unterscheidet Schulz von den wohlkomponierten Werken etwa aus der Feder Marquez‘ oder Carpentiers, sogar Limas, die so absichtsvoll-durchdacht wirken in ihrer Symbolik, dass man sich vor durchaus vorstellen könnte, selbst Texte zu produzieren, die sehr ähnlich gebaut sind und ähnlich klingen. Im Fall von Schulz „Zimtläden“ dagegen ist das ebenso unwahrscheinlich wie im Fall von Kafka. Was nicht heißen soll, dass Schulz nicht akribisch an seinen Texten gearbeitet hat. Aber was da an sehr persönlicher Bildwelt reingeflossen ist, wirkt wie aus tiefsten Schichten hervorgebrochen, wie Resultat eines ganz einzelnen Aufeinander Treffens von Welt und Weltanschauung. Es taugt zum Monolithen, nicht dazu, eine literarische Schule zu begründen.

Nicht verschwiegen werden soll, dass der Erzähler des in der Folge Nietzsches denkenden Schulz ein teils sehr abwertendes Bild von Frauen pflegt. Das allerdings wird teils von den weiblichen Figuren später konterkariert, indem diese im Schnitt zupackender und weltzugewandter agieren als ihre männlichen Mitbewohner. In wie weit das beabsichtigt ist, wage ich nicht zu beurteilen.

Das Sanatorium

Schon wenn man das einige Jahre vor „Die Zimtläden“ erschienene „Sanatorium zur Sanduhr“ beginnt, fällt auf, dass es sich um eine andere Art Text handeln muss. Das legt schon die Länge der Texte nahe. Auch das Sanatorium soll ein Werk aus verbundenen Kurzgeschichten sein, doch während die Texte der „Zimtläden“ zwischen knapp zehn und gut zehn Seiten schwanken, wobei das Werk auf insgesamt 15 Texte kam, wird das „Sanatorium“ dominiert von der Erzählung „Frühling“, die über die Hälfte des gesamten Bandes ausmacht (wobei die Buchausgabe einige weitere Texte versammelt, die der Kindle-Ausgabe fehlen). Es folgen noch einige weitere kurze Texte. Und „Frühling“ ist ein Text, in dem zwar schon das ein oder andere aufscheint, was „Die Zimtläden“ so außergewöhnlich macht, doch es ist ein Text mit viel mehr klassischer Handlung, konventioneller gebaut und auch konventioneller in der Bildsprache. Ein junger Mann verliebt sich in eine junge Frau, die Briefmarkensammlung eines Freundes lässt ihn in Welteroberungsplänen schwelgen. Später identifiziert er den Vater der Frau mit einem fremden Herrscher und mit einer Gefolgschaft von Porträts anderer Herrscher fordert er ihn zum Kampf. Das Ganze wird schließlich als Wahn enthüllt und schon in einer Jahrmarkt/Zirkus-Szene zuvor klingt so etwas wie ein wildgewordenes Sanatorium (im Sinne von „Irrenhaus“) an. Die motivisch-thematische Verbindung zu späteren Texten ist also gelegt. Aber die Handlung von „Frühling“ trägt schwerlich über 70 Seiten, und Schulz ergeht sich hier noch in einigen sehr deklarativen Passagen, etwa ausschweifenden Überlegungen darüber, was das eigentlich ist, ein Frühling. Es ist selten, dass man einen Text dafür kritisieren möchte, zu sehr auf Handlung zu bauen, doch im Fall von Schulz beißt sich das mit jener Tiefen-Spannung der motivischen Querbezüge, die dann „Die Zimtläden“ bestimmen wird. Es wirkt, als schalte ein Autor zwischen bereits gelungenen einzigartigen Bild-Passagen wie dieser –

“Mittags wird dieser knospende Lustgarten aus Licht und Schatten noch immer geflochten, und durch die zarten Augen dieses Netzes rinnt endlos das Gezwitscher der Vögel von Zweig zu Zweig, rinnt perlend wie Schweißtropfen durch den drahtgeflochtenen Käfig des Tages, aber die Frauen, die sich am Rand der Promenade ergehen, sind schon ermüdet, ihr Haar hat die Migräne zerzaust und die Gesichter der Frühling abgeplagt, und dann verödet die Allee völlig, und durch die Stille des Mittags zieht langsam der Duft des Restaurants aus dem Pavillon im Park.”

– dann plötzlich um auf die Imitation eines x-beliebigen Romantikers oder einer zweitklassigen Thomas-Mann-Epigone, die nun den Lesern ihre Reflexionen nahe bringen möchte. Von den späteren Erzählung sticht dann besonders das Titelgebende „Sanatorium…“ hervor. Ein Besuch beim offiziell „toten“ Vater in einer Institution, die eine bedrückende Gothic-Horror Atmosphäre ausstrahlt. Doch auch hier fehlt noch der letzte Schliff, wirkt es immer wieder als hätten zwei Autoren am Text gearbeitet, oder ein Autor an zwei Texten. Viele starke Momente, aber kein Ganzes.

Nein, keine Sorge, es gibt schon viel Schönes zu entdecken im Sanatorium, auch bereits in „Frühling“. Aber „Die Zimtläden“ ist das im Ganzen gelungenere Werk.

Bild: Pixabay

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