Poetisches Driften durch städtische und ländliche Einöde – „Nachtsaison“ von Christoph Meckel

.„Nachtsaison“ ist mein zweites Buch von Christoph Meckel. Das erste, „Die Messingstadt“, war ein kurzer dichter Roman, dessen 4 Kapitel man beinahe als jeweils eigenständige Erzählungen lesen konnte. Ein poetisches Driften durch eine Großstadt, unsichere Verhältnisse und zahlreiche Liebschaften. „Nachtsaison“ ist ein Band mit Kurzgeschichten oder vielleicht besser kleinen Erzählungen und Miniaturen. Thematisch weist das Ganze in einigen Texten gewisse Überschneidungen mit „Die Messingstadt“ auf und auch wenn die Erzählungen diesmal nicht fest zusammenhängen, teilen sich einige das Setting.

In den besseren Texten besticht wieder die unglaublich bildhafte Prosa sammt ungewöhnlicher Wortwahl in einem Stil, der oft nah an der Grenze zum einfach nur noch Verqueren tanzt, sie aber glücklich nicht überschreitet. Die Auftakt-Erzählung „Ankunft in Montza“ etwa handelt von einem, der aus unklaren Gründen reist und so irgendwie durch die Welt treibt. Nun kommt er in einer Stadt an, deren Namen wir erst spät erfahren und lässt sich wieder treiben. Regen jagt ihn in ein Hotel, doch als er das Hotel verlässt, vergisst er dessen Namen und kann es nicht wiederfinden. Das kümmert ihn erst einmal nicht. Er trinkt hier und dort, macht sich auf die Suche und hofft, irgendwann zurückzukehren. Denn im Hotel ist sein Koffer mit dem Großteil des Geldes. Doch dann schlägt das Schicksal zu. Der Mann wird entführt. Und natürlich glauben seine Entführer die Geschichte, warum er kein Geld habe, nicht. Insgesamt dreimal wiederholt Meckel diese Geschichte im Verlauf der nur 20 seitigen Handlung fast Wort für Wort, doch das stört in diesem Fall tatsächlich überhaupt nicht. Im Gegenteil: Es nimmt uns mit in das fieberhafte kKeisen um diese schicksalhafte Erzählung und in das Leben einer Person, die auch vor der Entführung schon in solchen Schleifen mit geringsten Variationen gefangen zu sein schien. Und das der scheinbar totalen Freiheit des finanziell abgesicherten Reisens zum Trotz. Diese drastische Erfahrung vermittelt Meckel in einer düsteren Poesie, die Schönheit und Bitterkeit vereint:

“Nachdem er sich im Hotelbett die Krätze holte, war er, wie immer zu Fuß, im Koloß unterwegs, endlos vorbei an Fassaden der Kolonialzeit – niederländischen Firmen, verwitterten Namen – durch stauberstickte, schlammverkrustete Plätze, verirrte sich in Slums ohne Ende und Anfang, Chinatown für ihn ohne Namen, und war nach Stunden des Taumelns durch Dreck und Weißglut so ausgefressen von Fremdsein und leer von Hoffnung, daß ihm nichts mehr half – er hockte sich an den Rand eines stinkenden Pools, rutschte unter ein Bretterdach in den Schatten, zwischen totes Federvieh und verflohten Hund, und driftete langsam, willenlos ab in Leere, eine Art des Irrsinns, die er noch nicht kannte. Menschen mit Totengesichtern schlurften vorbei, schnell vorbei an Federvieh, Hund und ihm. Keine Rückkehr in eine Welt, die ihn leben ließ. Übelgeruch drang in Mund und Nase, blutleeres Zahnfleisch, ausgetrockneter Mund. Fußblasen, Juckreiz, fließender Schweiß. Zeit zog sich aus seinem Körper zurück, überließ ihn dem Hund, dem Federvieh, dem Dreck, in dem er zu verschwinden begann.”

Ebenfalls sehr stark ist „Weiße Nächte“, ein später Text im Buch. Auch hier driftet einer durchs Land. Von Süd nach Nord, und in eine weiße Nacht hinein nimmt ihn ein Lkw-Fahrer mit. Die beiden halten an einem abgelegenen Haus an einem einsamen Sportplatz. Die Besitzerin scheint erst die Geliebte des LKW-Fahrers, dann wird sie zu der des Drifters. Doch früh komplementiert sie ihn relativ schroff vor die Tür und der LKW ist auch verschwunden. Der Drifter erinnert sich früherer Affären, doch diese eine Nacht bekommt er nicht aus dem Kopf. Irgendwann sucht er das Haus wieder auf, doch es steht leer und wirkt, als sei es schon ewig nicht mehr bewohnt gewesen. Auch diese Erzählung ist dabei durchweg gestaltet in einer dezidiert kunstvollen bildhaften Sprache voller Melancholie:

“Im beständigen hellen Zwielicht ging er nachts um Buchten der Insel, vorbei an Häusern, in denen man schlief, an Autos, die mit steckenden Schlüsseln am Ufer standen. Die Holzverladeplätze waren still, die Fontänen abgestellt, die geschälten Baumstämme lagen trocken, schimmernd wie Zunder. Die Seeflächen zogen sich in nicht geheurer Helle zu den Horizonten hin, waren leer und erschienen leicht. Er sah und hörte kein Lebewesen, keinen Flügel, keinen Ruf. Nirgendwo Hunde.

In den Wäldern, weg vom strömenden oder stehenden, gurgelnden oder lautlosen Wasser und fern vom Meer, waren die Nächte farblos grün, ohne vernehmbare Geräusche, die Umrisse der Kiefern und Birken aus fahlem Schwarz, die Waldböden unter Farn und Bruchholz nicht sichtbar. Fahrwege von Quellen, Müllplätzen, Badehäusern führten weithin leer zu bewohnten Gebäuden, Farmen und Schuppen und lösten sich im Halblicht der Höfe auf. Die Weiße Nacht war schattenlos. Er saß auf Steinen vollkommen still, hörte den Wind ohne Unruhe über sich, die unbewegte Nachtluft um sich herum. Es war eine Stille, die der Süden nicht kannte. Geisterhafte Schwere nördlichen Dunkels, Ohrenklingen der Weißen Nacht.”

Was diese und noch ein paar andere der stärkeren Texte, darunter auch der ausgedehnte Mittelteil „Nachtsaison“, nach dem der Band benannt ist, miteinander gemein haben – sie überzeugen nicht allein durch das Sprachliche sondern erzählen zugleich eine fesselnde, wiewohl nicht nur rätselhafte sondern regelrecht enigmatische Geschichte. Das kann man leider nicht von allen Texten im Buch sagen. Einige berichten wirklich höchstens eine Anekdote, einige, wie die vom Mann, der in selbstmörderischer Absicht auf sich selbst ein Kopfgeld aussetzt und dann plötzlich das Leben lieben lernt, sind thematisch zusätzlich einfach zu abgeschmackt. Es sind diese Texte, in denen einem dann auch die sprachlichen Besonderheiten Meckels hier und da sauer aufstoßen können. Denn so stark es diesem Auto die meiste Zeit gelingt, sich auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Künstlichkeit auf der sicheren Seite zu halten, einige Abstürze gibt es. Viele stehen im Zusammenhang mit der exzessiven Verwendung von nur durch Kommata getrennten Ereignis-Aufzählungen, die hier und da wirklich einmal einen Punkt vertragen könnten. Sie würden besser dadurch, nicht schlechter. Aber gut, das ist eine Kleinigkeit. Doch manchmal entstehen so einfach falsche Sinnzusammenhänge:

“Ankunft in Djakarta lange her. Der Airport verschwand in Regengüssen, er fiel, durchnäßt von Schweiß und Wasser, in ein Taxi und wurde in das OLD HAARLEM gefahren, Plaza mit Air condition und sauberen Betten, empfohlen von Leuten, die reisten wie er. Der Chauffeur war ein kleiner Mann ohne Alter, mager, schweigsam, mit offenem Blick, sein Pidgin Javanisch/Englisch erfreute ihn selbst. Er brachte ihn ohne Umwege vor das OLD HAARLEM, dankte für Trinkgeld und verschwand im Verkehr.”

Wohlgemerkt – so beginnt ein neuer Absatz, ein neuer Sinnzusammenhang. Das gefettete „er“ hat nur einen logischen Bezug, und der stimmt nicht. Oder fällt hier wirklich der Flughafen durchnässt von Schweiß in ein Taxi?

Auch Meckels Angewohnheit, durch Einschub in einen Satz leicht archaisierend eine starke bildhafte Beschreibung mit einer Person oder eine Aktion zu verknüpfen kann, durch Übergebrauch vom gelungenen stilistischen Mittel zur Manierismus werden:

“Die Frau – frivoles Monster, verspielte Dame – hatte die Türe hinter sich abgeschlossen. Wieder sah er, schmerzende Augen, den blitzschnellen Einbruch des Taglichts in diesen Raum. Er war im Zwielicht allein, auf der Matratze gefesselt (…)”

Die Beispiele kommen stammen aus dem ersten Text, kommen also auch in den besseren Arbeiten vor. Doch da verzeiht man es aufgrund des so unglaublich überwältigenden Gesamteindrucks. In den schwächeren Texten gibt es wenig Rettendes. Allerdings ist das keinesfalls ein Einwand gegen „Nachtsaison“. Denn enthielte der Band auch nur eine starke Erzählung oder Miniatur, das höbe ihn doch Weit hinaus über die Masse dessen, was in den letzten 50 Jahren an deutscher Gegenwartsliteratur erschienen ist. Denn einen solchen Text, und der Band enthält mindestens drei, sowie einige, die in die Nähe dieser Höhen kommen, kann man immer wieder lesen. Der Großteil der deutschen Gegenwartsliteratur tut ja beim ersten Lesen schon weh. Und täglich eine kleine exquisite Pralinen, auch wenn es jedesmal dasselbe Modell ist, sollte man, hat man noch etwas Selbstrespekt übrig, dem regelmäßigen Fressen von schon wieder im eigenen Fett erkalteten Hamburgern rein um der Masse Willen doch definitiv vorziehen.

Bild: Pixabay.

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