Christoph Meckel hat mir eine Leserin auf Twitter empfohlen. Mein erster Text von ihm ist „Die Messingstadt“. Ein kurzer halb-fantastischer Roman in einem Setting, das sich sehr nach Neo Noir oder zeitgenössischer Dystopie liest:
„Die Messingstadt, die Babylon-City. Stadt der Unterwelt, der Zuhälter und Ganoven, der gezinkten Karten, der Schiebereien und schmutzigen Geschäfte. Einer, der in dieser Unterwelt lebt, ist Jean, ein einsamer Wolf, der alle Gefühle vermeiden will und deshalb mit einer Hure lebt. Und die will irgendwann kein Geld mehr von ihm… Meckel hat die Geschichte von Babylon-City mit großer Farbigkeit aufgeschrieben und in verführerische Bilder gebracht. Für Freunde verrauchter Hinterzimmer, für Metropolenkids und Nachtschwärmer.“
Erzählt wird das in einem alles andere als gewöhnlichen Stil, einerseits fast lakonisch, wie aufzählend, dann aber auch immer wieder um erlesenste Worte und Sätze bemüht. Eindruck: Eine schmutzige Schönheit, die in gewisser weise durchaus aber ennuieren, ja, an-öden kann – doch nicht die Lesenden anöden – es ist die niedergedrückte Stimmung des Settings, die perfekt transportiert wird:
„Im Taxi nach Babylon-City, zwei Stunden später, sortierten sie das gemeinsame Taschengeld, sie nannte eine Adresse, Hotel Senlis, und lehnte jeden anderen Vorschlag ab. Seite an Seite in gewärmten Polstern, übernächtigt, sorglos, in verbrauchten Kleidern, erkannten sie sich in einem Blick, die Berührung ihrer Schultern war nicht zuviel. Taxi fahren, für ihn eine alte Gewohnheit – er fuhr auch Taxi, wenn er pleite war -, erschien ihr ganz unerwartet und luxuriös, eine kostbare, warme Gewißheit, ein Platz für sie. Über den Vorstädten mischte sich Rauch mit Regen, unendlich oder ewig schien dieser Rauch, aus Flüchtlingslagern steigend, aus Slums und Baracken, bissig, sauer, erstickend und ihm vertraut, obwohl er nicht aus dieser Versenkung kam. Der gefeierte Himmel war hier schwarze Luft, die naß und stinkend auf die Materie drückte, er kannte das schon, sie atmete ohne Bedenken, schleimige Vertrübung von Wasser und Erde, Stein, Holz, Metall und allem, was drin lebte. Er glaubte Glocken zu hören, aus welchem Grund, und hatte tatsächlich ein paar Glocken gehört.“.
Das erste Kapitel ragt dabei besonders heraus. Die Reise nach Babylon City, die Bekanntschaft mit einer anderen Reisenden, ein Unfall – alles mit ähnlicher emotionaler Distanz erzählt – das liest sich wie ein kaltfiebriger Traum in Fetzen und hat etwas von Neo Noir trifft Robert Walser:
„Die Zeit verging im beleuchteten Zifferblatt, sie schien zu vergehn, danach vergangen zu sein, die Zeit im Volvo und seine eigene, die Zeit der Person neben ihm und die Zeit der Nacht; eine andere blieb unverbraucht zurück im Land, das flüchtig erhellt zwischen Bäumen zum Vorschein kam. Gegen Morgen fiel Schnee, er sprühte im Licht entgegen, beschlug die Scheiben und lag auf der Fahrbahn fest. Schlohweiße Wirbel schlossen den Wagen ein. Er fuhr verlangsamt, ohne genaue Sicht, durch angesammelten Schnee, auf spürbarer Glätte, in verflatternder enger Raumlosigkeit, und die Frau neben ihm – er hatte sie fast vergessen – schien das Fahren normal zu finden und sagte nichts.“
Thematisch wirkt der Text recht bukowski-esk. Der Protagonist, nach dem, was er erzählt und woran er sich erinnert, bereits durch viele Beziehungen und Affären gegangen, bezahlt der Einfachheit halber eine Prostituierte um mit ihr zu leben. Doch beide verlieben sich, da bricht er das Experiment ab. Zuvor löchert die Geliebte ihn über zahlreiche Liebschaften.
Ich kann mir vorstellen, manche Leserin wird die Augen rollen über noch so eine Geschichte, in der Frauen vor allem als Drama, tragische Vergangenheit, wish-fullfilment, Bettgeschichte oder Ziel vorkommen. Und ich kann es verstehen. Aber wenn man schon einen dieser Texte liest – dann doch den. Denn Meckel schreibt wirklich herausragend.
Und ganz so einfach ist es dann auch nicht. Da ist einerseits die Tatsache, dass unser Protagonist in seiner Beziehung mit Gabriele eine große Lust am Erfinden von „Frauengeschichten“ entwickelt, denn das unterhält die Geliebte – so können wir uns mit der Zeit immer weniger sicher sein, was an Vergangenheit und Gegenwart des Protagonisten tatsächlich glaubhaft ist. Und dann wechselt die Perspektive der insgesamt vier Kapitel zwei Mal von dritter zu erster Person und auch das geht insofern nicht ganz auf, als dass Widersprüche zwischen den Perspektiven bleiben.