Llosas „Tante Julia“ – Witzig-Chaotische Selbstparodie mit etwas zu viel Schmalz.

„Tante Julia und der Kunstschreiber“ gilt nach dem vergessenswerten „Der Hauptmann und sein Frauenbataillon“ als der zweite Roman der einfacheren Werkphase Vargas Llosas. An diesem Roman lässt sich einerseits gut zeigen, wie bewusst dieser Wechsel stattfand, andererseits, dass das mit der Einfachheit vielleicht selbst ein bisschen einfach gesprochen ist.

Einerseits handelt es sich scheinbar tatsächlich um eine relativ einfache Liebesgeschichte. Varguitas, ein junger Schriftsteller, verliebt sich in die deutlich ältere sehr attraktive Tante Julia. Diese bei Familie und Gesellschaft offenkundig nicht mit Freude aufgenommene Liebesgeschichte bildet zugleich den Rahmen für Varguitas Interesse am erfolgreichen Radio Drehbuchautor Camacho, seine Bekanntschaft und zunehmende Enttäuschung mit diesem Autor, dessen Aufgabe Varguitas in der Folge des Romans zeitweise übernimmt.
Camacho verfasst parallel zahlreiche Endlos-Seifenopern mit sich immer ähnelnden Hauptcharakteren (Adlernase, breite Stirn) sowie sich drastisch entwickelnden Handlungssträngen. Doch über dieser Jonglage bricht Camacho mit der Zeit zusammen, Figuren tauchen in den falschen Geschichten auf und das Handlungsgeflecht wird immer chaotischer. Man könnte aber auch sagen: immer enger verwoben. Offenkundig ist das gewissermaßen auch Selbstparodie oder vielleicht ein Seitenhieb auf Epigonen. Die Gewalt der Geschichten, die Camacho überwältigt, führt unfreiwillig zu einem Erzählstil, an dem Llosa ganz freiwillig über Jahrzehnte für seine beiden großen Meisterwerke „Das grüne Haus“ und „Gespräch in der „Kathedrale““ gefeilt hat. Ich glaube nicht, dass Llosa damit andeuten will, es handele sich bei diesen beiden Texten eigentlich nur um unförmiges Chaos, dafür hat der Autor viel zu hellsichtig die Theorien dargelegt, nach denen er diese beiden Werke komponiert hat. Aber ein augenzwinkerndes „bis hierhin und nicht weiter“ darf man im Nervenzusammenbruch des Camacho wohl durchaus sehen und muss gleichzeitig dennoch zugeben, dass die entgleisenden Geschichten zugleich der virtuosere und interessantere Teil des Romans sind.

Denn die Liebesgeschichte? Come on. „Ich war 17, und sie war 31?“ Das bekomme ich von Peter Maffay deutlich dichter präsentiert. Einen wirklichen Mehrwert zu dem Song bietet „Tante Julia und der Kunstschreiber“, würde man die Liebesgeschichte für sich nehmen, dann auch nicht. Und echt, das immer wieder betonen der Super-Keuschheit dieser Liebe und wie die beiden sich nur küssen, küssen, küssen, das kann mit der Zeit schon ziemlich auf die Nerven gehen. Wenn man das Buch liest, lässt sich sowas überfliegen, das Hörbuch ist aus diesem Grund teilweise schwer erträglich. Wir haben es kapiert. Ihr küsst euch immer. Können wir bitte wieder eine Geschichte von Camacho hören? Ja, es ist Camacho, der „Tante Julia und der Kunstschreiber“ zu einem doch deutlich überdurchschnittlichen Stück Literatur macht. Denn Camachos Geschichten drängen ja praktisch auch in die Hauptgeschichte, auch in dieser wird man immer wieder Motive finden, die die Frage erlauben: Verdammt, ist das nicht am Ende auch nur ein Stück Radio- Seifenoper? Und derweil übernimmt der reale Camacho immer mehr Marotten seiner Hauptfiguren und steigt gesellschaftlich ab, während unser Protagonist aufsteigt.

„Tante Julia und der Kunstschreiber“ ist ein nur bei oberflächlichem Lesen einfacher Roman, der es leider manchmal mit dem Schmalz etwas übertreibt. Schade, dass ausgerechnet dieser eines der wenigen auf Deutsch vorliegenden Hörbücher von Llosa ist.

Eine der Hörspielfiguren ist übrigens Sargento Lituma, was das Lituma-Universum nochmal ein Stück komplizierter macht.

Bild: Pixabay

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