Virtual Light ist der erste Teil der Bridge-Trilogie, die auf die Neuromancer-Trilogie folgte und die ich hier in einer kurzen Einschätzung schon einmal als im Ganzen besser als die Vorgängertrilogie bezeichnet habe. Im einzelnen aber bleibt Neuromancer des rundeste Werk aus Gibsons Feder.
Virtual Light wiederum dürfte der stärkste der Brückenromane sein und einer von zweien, die man auch als alleinstehenden Roman lesen kann. Dabei ist Virtual Light im Vergleich mit Neuromancer ein wenig mehr Punk als Cyber. Protagonistin Chervette fährt anfangs auf einen gepimpten Bike Nachrichten aus, ihr späterer Mitstreiter Berry, ist einem Film-Noir-Cliché entsprechend Polizist, baut dabei großen Mist, kommt dann bei einer privaten Ermittlerfirma unter. Chervette reißt sich auf einer ihrer Boten-Fahrten ein mächtiges Stück Nanotechnik unter den Nagel und wird fortan von mehreren Gruppierungen verfolgt. Berry, der eigentlich versucht hat, durch das Reality-TV Programm „Cops in Trouble“ wieder auf die Beine zu kommen, dort aber keinen Erfolg hat, arbeitet erst gegen, dann mit Chervette.
In der Welt, die Gibson zeichnet, ist einmal mehr der Staat auf dem Rückzug und globale Unternehmen agieren immer stärker quasi-staatlich. Die der Trilogie den Namen gebende Brücke, die stillgelegte San Francisco–Oakland Bay Bridge, steht für ein Phänomen, das Gibson weitsichtig antizipierte. Der krisenerschütterte Kapitalismus, dem die sozialstaatliche Stabilisierung fehlt, hinterlässt immer mehr Zonen die außerhalb des Verwertungsinteresses liegen. Slums wie die Brücke, in deren in schwindelerregende Höhen gebauten Containern sich das Prekariat verbarrikadiert, das sich gerade so irgendwie durchs Leben schlägt. Aber auch weite rurale Landstriche, die zur Religion zurückfinden oder im zweiten Teil eine klandestine Online-Komune, deren Webspace Kowloon Walled City nachempfunden ist.
Derartige Szenarien sind Legion. Doch Gibson bleibt einzigartig darin, wie er seine Sprache direkt aus dem Thema schöpft. Rauer, rostiger, ungeschliffener als das stärker mit Informationstechnologie beschäftigte Neuromancer ist Virtual Light. Ein Englisch, das für dieses Buch und nur für dieses Buch taugt. Das macht Gibson zu einem der ganz wenigen beinahe unübersetzbaren Autoren, die diesen Status nicht in erster Linie aufgrund ihrer Wortspiele erreichen, sondern durch die innere Struktur der Sprache selbst.
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2 Kommentare zu „„Virtual Light“ – William Gibsons zweitbester Roman. Kurzbesprechung.“