Quasikristalle muss ich vor Kritikern in Schutz nehmen, die dem Roman vorwerfen, kein solcher zu sein. Dass er nämlich in vollkommen unglaubhafter Weise Episoden eines Lebens aneinander stückele. Quasikristalle sei eigentlich nicht viel mehr als in Kurzgeschichtenband, liest man, als sei ein Kurzgeschichtenband etwas schlechtes.
Quasikristalle erzählt ein einzelnes Leben in 13 Episoden, in denen die Protagonistin mal im Zentrum steht und mal nur am Rande erscheint. Das darf, ja das muss man leider Roman nennen. Denn um mehr (!) zu sein fehlt den einzelnen Erzählungen die Geschlossenheit. Höchstens zwei oder drei lassen sich auch losgelöst aus dem Ganzen lesen. Quasi-Kristalinität erreicht Quasikristalle so nie. Die einzige Distanz, aus der sich das Werk sinnvoll betrachten lässt, ist die Ferne des Romanganzen unter der althergebrachten Fragestellung „was passiert als nächstes?“.
Aber warum „leider“ ein Roman? Weil Quasikristalle auch als klassischer Roman nicht funktioniert. Letztlich erzählt Menasse darin wie bereits in Vienna eine fiktive Biografie, die nicht ganz so sehr wie im Vorgänger dennoch Autobiografie ist, die aber mit der Entwicklung und den Erlebnissen der Hauptfigur steht und fällt. Aber die Episodenstruktur entrückt genau diese Entwicklung in einer Weise, die in geschlossenen Kurzgeschichten zu unterschiedlichen Lebenszeitpunkten aus unterschiedlichen Perspektiven akzeptabel wäre – im Schlaglicht kann ein Mensch sehr unterschiedlich erscheinen – in der Reihung eines Episodenromans wird dieser aber seines zentralen Momentums, der Charakterentwicklung, entkleidet. Auf der anderen seite könnte, und will, worauf so genial formuliert der Titel verweist, Quasikristalle so viel mehr sein als „nur“ ein Roman. Ein offen-geschlossenes Werk, dessen jeder Einzelteil wie ein Kristall selbstbezüglich vollkommen ist, und sich dennoch zu einem größen Ganzen öffnet.
Doch Menasse zieht mit ihrem zögerlichen Experiment das schlechteste aus zwei Welten. Aus der Nähe betrachtet fehlt das zauberhafte Glitzern des Kristalls, von fern betrachtet dessen erhabene Struktur. Aber Quasikristalle , der Titel, der bleibt genial. Als Ideal, das eine moderne Prosaästhetik für umfangreichere Werke zu antizipieren hätte.
Bild: Pixa, gemeinfrei
3 Kommentare zu „Tolle Idee – durchwachsene Umsetzung. Quasikristalle von Eva Menasse“