Nachdem ich gestern Bingereaders Besprechung von <i>Hag-Seed</i> kommentierte, habe ich endlich auch mal mein Maschinendiktat ins Reine geschrieben (ihr glaubt gar nicht, was für wundervolle Fehler Diktierprogramme einbauen können). Ich konzentriere mich auf Gelungenes und weniger Gelungenes. Inhalte und genauere Analyse des Verhältnisses zum Hypotext gibt’s bei Bingereader und Schiefgelesen.
Der Sturm im Sturm (des Sturmes)
Margaret Atwoods Hag-Seed (Hexensaat) ist eine geschickte Parallelisierung von Shakespeares Der Sturm zur Geschichte eines geschassten Theaterregisseurs, der als Theaterpädagoge im Gefängnis eine zweite Anstellung findet und dort im Rahmen einer Aufführung von Der Sturm die Rache an seinem alten Gegner vorbereitet. Ein Sturm im Sturm also, durchaus gelungen.
Der Text könnte allerdings vielleicht sogar kürzer sein, ein wenig meint man ihm die Auftragsarbeit innerhalb der Reihe Hogarth Shakespeare anzumerken. Muss ich wirklich jeden Schritt lesen, den Regiseur Felix Philipp macht, um Requisiten und technisches Gerät fürs Theater einzukaufen? Ein Drittel des Romanes hätte man bei mehr künstlerischer Konsequenz einsparen können. Aber das gilt ja für fast alle Romane.
Dann wiederum wirken andere Passagen nicht ausgearbeitet. Warum werden die Schauspieler und Gefängnisinsassen hauptsächlich durch die Liste charakterisiert, in der Regisseur Philipp ihre Eigenheiten notiert? Dass einer der Insassen einmal wirklich durch sein Handeln vorgestellt wird ist eher selten.
Felix Philipps Unterricht
Interessant wiederum die didaktische Ebene des Vorgehens Philipps. Die Art wie er Respekt im Gefängnis gewinnt und seine Schauspielern zu Bedeutendem motiviert, erinnert mich an den Unterricht eines guten Freundes an einer Förderschule. Nicht, weil man Förderkinder per se all zu anders unterrichten müsste als Kinder an anderen weiterführenden Schulen. Sondern: Weil man sie ernst nehmen und bei ihren Interessen packen muss, was insgesamt an Schulen zu selten geschieht, und weil diese Schule anscheinend die Freiheiten gewährte, auf solch engagierter Basis mit den Schülern zu interagieren. Dass das Theaterprogramm also kein aufgesetztes Element ist, um die Shakespeare-Parallele überhaupt zu ermöglichen, sondern auch durchaus glaubwürdig funktionieren kann, macht den Roman zu mehr als einer bloßen Intellektuellenspielerei.
Eine schöne Lektüre samt einiger interessanter neuer Schlaglichter auf Shakespeares Werk. Nicht der ganz große Wurf (fern von Manns Dr. Faustus zB) aber in jedem Fall lesenswert. Was zumindest in der deutschen Version fehlt, ist der besondere sprachliche Funke. Man sollte doch erwarten, dass eine moderne Reimagination Shakespeares auch versucht, eine Entsprechung dieser bodenständigen Brillanz zu finden, mit der Shakespeare schon nach einigen Zeilen den Leser nicht mehr loslässt.
Bild: Snow Storm: Steam-Boat off a Harbour’s Mouth. Joseph Mallord William Turner, gemeinfrei.
Darüber, wie in unseren Weltgegenden (allzu) oft unterrichte wird, möchte ich mich lieber nicht (schon wieder) auslassen, daher nur zum Roman selbst: Ich kenne die Geschichte nur als Hörbuch im Original, gesprochen von R.H. Thomson, und da sind mir weder die langen Aufzählungen, noch ein Mangel an sprachlicher Brillanz aufgefallen. Manchmal ist einfach die Übersetzung schuld… Was die Beurteilung der Laienschauspieler und anderer Charaktere durch Felix angeht: für mich war das eine geniale Art, ihn selbst zu charakterisieren.
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Ich hab leider nur die deutsche. Fand es sprachlich ja auch nicht schwach, nur eher was zum „runterlesen“. Aber sicher kann das die Übersetzung sein. Ja, Felix wird u.a. auch auf diese Weise sehr überzeugend gezeichnet.
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